Smart Work!

Living at Work-Serie | Folge 1 | - Matthias Horx über die Arbeitswelt der Zukunft.

Die Flexibilisierung der Arbeitswelt geht weiter, vorangetrieben von der Veränderung der Geschlechterrollen. Viele Mitarbeiter werden sich in Zukunft Job und Lebensform maßschneidern. Und vielversprechende Talente können sich in Zukunft wie Unternehmen an die Börse bringen.

Viele Teilnehmer der New Economy haben wie ein Feuerwerk gebrannt. Sie haben die Komplexität ihres Lebens reduziert, indem sie Privatsphäre und Arbeitssphäre zusammengelegt haben: Wir sind eine Power-Working-Familie! Viele von ihnen mussten feststellen, dass das nur eine begrenzte Zeit lang geht. Geblieben ist aus dieser Zeit aber ein kreativer Impuls, der die Frage nach dem Sinn des Lebens anders stellt. "New Economy" heißt heute für mich: Wie bekommen wir Leben und Arbeit in einen vernünftigen, nachhaltigen Kontext? Wie funktioniert "Work-Life-Balance"? Das sind die spannenden Fragen der neuen Gesellschaft, der Wissensgesellschaft.

Ein stetiges Aushandeln von Rollen.


Im alten Gesellschaftskontrakt war es einfach, da waren die Rollenbilder klar und geordnet: Frauen übernahmen die Hausarbeit und Männer die Erwerbsarbeit; die Frauen haben den Männern den Rücken für die Karriere freigehalten. Jetzt muss jeder das für sich neu verhandeln. Aber die Erfahrung im Privaten zeigt, dass dabei nicht alles über den Haufen geworfen wird. Es eröffnen sich vor allem neue Möglichkeiten. Und die Menschen stellen neue Bedingungen an ihre Arbeitgeber: Ermöglicht mir mein Arbeitgeber eine flexible Lebens- und Arbeitsgestaltung?
Ich halte den Konflikt zwischen den Geschlechtern, und damit auch den Konflikt zwischen Familie und Beruf, für einen ganz wichtigen Aspekt, der in der neuen Arbeitswelt oft unterschätzt wird. Durch diesen Kampf entstehen starke persönliche und existenzielle Krisen, und gerade bei Wissensarbeitern kann das sehr, sehr teuer werden.
Unsere Zukunftsaufgabe ist, das alte "eherne Gehäuse der industriellen Arbeit", wie Max Weber das einmal genannt hat, aufzusprengen. Es ist in einer lebendigen Kultur völliger Quatsch, jeden Tag siebeneinhalb Stunden "auf die Arbeit zu gehen". Wissensarbeit funktioniert anders, und das Leben funktioniert anders. Mal haben wir große Zeit- und Energieressourcen, dann wollen wir vielleicht zehn oder zwölf Stunden arbeiten. Mal sind wir in einem Dilemma zwischen Familienzeit und Arbeitszeit, bei dem es besser wäre, wir hätten Zeitreserven.

Mehr Gestaltungsfreiheit.


Wir können sehen, wie sich Menschen fast unbemerkt aus alten ökonomischen Zwängen befreien. Heute steigt die Selbstständigkeitsrate wieder, ein Milieu der "Ich AGs" entsteht in den Städten. Viele Menschen beginnen auch damit, sich individuell von den Zwängen der alten Lohnabhängigkeit zu lösen. Sie nehmen sich heraus, eigene Kriterien zu entwickeln für das, was ihre Arbeit sein soll. Dazu ist es nötig, Nein sagen zu können. Viele Menschen können auch mit relativ geringem Erwerbseinkommen ganz gut leben - in sozialen Netzwerken. Weil sie "Kombi-Ökonomien" entwickeln. Weil für sie materieller Lebensstandard nicht mehr das einzige Kriterium für Lebensqualität ist. Es gibt immer mehr so genannte Puzzle-Ökonomien. Ich nenne es das "Prenzlauer Prinzip" und die "Starnberger Lebensart": Entweder die Leute haben das "Betriebsvermögen des Lebens" schon, weil die Eltern ein Haus abbezahlt haben, in dem man wohnen kann. Oder sie pflegen eine poststudentische Lebensform, in der man für wenig Geld eine hohe Lebensqualität erreicht. Je mehr sich solche Bohemien-Formen, die vorher nur für eine winzige Minderheit möglich waren, in der Gesellschaft durchsetzen, desto größer ist auch die Entscheidungsmacht des Einzelnen. So entsteht eine "Kreative Klasse", die ihr Auskommen jenseits traditioneller Karriere-Laufbahnen findet. Da die Tendenz der Arbeit immer mehr in Richtung Wissen und Bildung geht, kann man davon ausgehen, dass sich dieser Sektor noch weiter ausweitet.

Jeder kann eine Aktiengesellschaft sein!


Aber nur mit entsprechender Hilfe, mit Coaching und gegenseitiger Vernetzung. Das reine Einzelkämpferdasein funktioniert nicht. Aber man könnte in die Zukunft weiterzeichnen, wie sich eine Ökonomie der Wissens-Selbstständigen entwickelt, oder, ökonomisch ausgedrückt, wie sich das Kapital an seinen neuen Träger bindet, das Individuum. In Zukunft werden sich vielleicht "Portfolio Dealer" um vielversprechende Talente kümmern. Diese wiederum geben Anteile aus, man kann also in sie investieren. Ein Beispiel: Ihre Tochter ist Kernphysikerin und bringt sich in einen Talentpool ein, an dem ich Anteile zeichnen kann. Oder mein Sohn wird Künstler und ich setze auf ihn und bringe ihn an die Börse. Der Deal ist: Ihr zahlt eine Zeit lang sein Atelier, dann bekommt ihr zehn Jahre zehn Prozent der Erlöse aus seinen Werken. Wer in ihn investieren möchte, muss natürlich ein Risiko eingehen - es gibt Künstler, die Multimillionäre sind, aber auch arme Schlucker. Aber wäre dieses Risiko nicht interessanter, persönlicher und lukrativer als die Investition in bizarre Biotech-Aktien?

Die Globalisierung als Triebfeder.


Die Globalisierung ist wie eine Peitsche. Sie zwingt uns dazu, unser ökonomisches System weiterzuentwickeln - oder aber auf das Niveau eines Zulieferer-Landes abzusinken, das den Finnen oder Chinesen Bauteile fabriziert. Nur wenn der evolutionäre Druck der Globalisierung aufrechterhalten wird, kann "Smartness" im Sinne einer besseren Kultur des Arbeitens und Wirtschaftens aus den Pionierunternehmen auf die ganze Breite der Soziokultur überspringen. Je mehr ein Unternehmen sich im globalen Kampf um die Humanressourcen behaupten muss, desto wichtiger wird der Mitarbeiter. Gäbe es tatsächlich eine Renationalisierung der Wirtschaft, dann würden die Errungenschaften der New Economy, die auch die Old Economy verändert haben, wieder zurückgenommen. Zum Beispiel die Flexibilisierung der Geschlechterrollen.
Neulich war ich in der Schweiz und habe einen Vortrag gehalten, in dem es ganz stark um das Verhältnis Männer-Frauen ging. Die Zuhörer waren 300 Männer, die Chefetage einer Bank. Danach kam der CEO zu mir und sagte: "Das war ja ein netter Vortrag, aber ich glaube Ihnen kein Wort. Hier wird noch in zehn Jahren keine Frau in der Chefetage sitzen." Mir wurde klar: Wahrscheinlich hat er Recht. Aber nur, wenn die Schweiz eine relativ geschlossene nationale Einheit bleibt und seine Bank nie mit ausländischem Kapital in Berührung kommt. Würde beispielsweise eine amerikanische Bank sein Unternehmen kaufen, würden die Frauen in der Human Resources-Chefetage sofort einige der Männer im mittleren Management hinauswerfen und durch Frauen ersetzen. Denn in Amerika hat man eine andere Diversitätskultur, dort ist die Alleinherrschaft der alten Männer in den Unternehmen zu Ende.
Das verstehe ich unter den Errungenschaften der Globalisierung. Es wird in Bezug auf Leistung oft härter zugehen, in Bezug auf Kultur jedoch wesentlich liberaler, offener und "diverser". Das empfinde ich als die bessere, die spannendere Welt, die vielleicht nicht mehr ganz so sicher ist, aber im Sinne einer Entwicklung der Lebenspotenziale, des eigenen Reifeprozesses, unendlich viel spannender.

Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".

English version: PDF-File.

Matthias Horx ist einer der bekanntesten Zukunftsforscher Deutschlands.

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Vom 19. bis 23. Oktober 2004

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