Selbständigkeit. Letzter Stand.
Deutschland liegt bei der Selbständigenquote in Europa weit hinten. Die Gründe: mangelnder Unternehmergeist, schlechtes Image, wenig Risikobereitschaft, Angst vor dem Scheitern. In einem Satz: Es ist die Haltung, Sicherheit zu wollen, ohne Unsicherheit zuzulassen. changeX-Autor Winfried Kretschmer hat sich deshalb ausführlich in der Ratgeberliteratur umgesehen und dabei festgestellt, dass die meisten Existenzgründungsbücher nicht wirklich weiterhelfen. Sein Dossier geht aber nicht nur der Frage nach, warum die Deutschen so wenig unternehmerisch denken und handeln, sondern fischt auch die Perlen aus der aktuellen Ratgeberliteratur heraus. Überraschend: Das beste Buch über Unternehmer-Know-how stammt nicht aus einem der etablierten Verlage, sondern ist ein Book on Demand.
In Deutschland liegt die Kultur der Selbständigkeit danieder. Trotz Krise und Ruck-Appellen. Obwohl längst klar geworden ist, dass Wertschöpfung in erster Linie aus den kreativen Ideen von Menschen entspringt, klammern sich die Deutschen an die verzweifelte Vorstellung, dass "es" schon jemand richten werde. Irgendwer, nur nicht man selbst. Nach wie vor ist die Bereitschaft, selbst anzupacken und die Dinge in die eigenen Hände zu nehmen, gering ausgeprägt.
Das verwundert, denn an Hilfestellung mangelt es nicht. Die Förderinfrastruktur ist gut, professionelle Beratung und funktionierende Gründernetzwerke gibt es allerorten und Existenzgründungsratgeber zuhauf. Wer beim Online-Buchhändler Amazon den Suchbegriff "Existenzgründung" eingibt, erhält exakt 555 Treffer - Gründungsratgeber gibt es wie Sand am Meer. Doch die meisten dieser Bücher gleichen einander wie ein Sandkorn dem anderen. Sie beschreiben Existenzgründung als technisch-instrumentellen Vorgang: als eine Kette rechtlicher, finanzieller und organisatorischer Tätigkeiten, an deren Ende die fertige Firma steht. Existenzgründung als bürokratisches Procedere - so stellen sich Deutschlands Ratgeberautoren die Gründung einer selbständigen wirtschaftlichen Existenz vor.
Existenzgründung als Verwaltungsakt.
"Am Anfang drängen alle Gründer ganz ähnliche, scheinbar einfache Fragen. Diese Fragen betreffen die Organisation der Selbständigkeit, die Vorgehensweise bei der Gründung und die eigene Präsentation und Selbstdarstellung." So beginnt Deutschlands meistverkaufter Gründungsratgeber, Svenja Hoferts Praxisbuch Existenzgründung. Man könnte auch in ein beliebiges anderes Buch aus dem aktuellen Ratgeberangebot schauen, überall dasselbe Bild: Existenzgründung als mechanischer Vorgang im Checklistenformat. "Fahrplan: Schritt für Schritt durch die Existenzgründung", wie es in dem bereits zitierten Buch heißt. "Bevor die Deutschen einen Bahnhof stürmen, kaufen sie sich eine Bahnsteigkarte", soll Lenin über die Chancen einer Revolution in Deutschland gesagt haben. Verbürgt ist dieses Zitat nicht, aber nahe an der Wahrheit. Tief sitzt hierzulande die Angst vor Grenzüberschreitungen gleich welcher Art. Man plant Schritt für Schritt. Sichert sich ab. Nie aus der Deckung, nur nicht zu weit vorwagen! Die Mutter der Vorsicht ist die Angst. Die Angst, Fehler zu machen.
Fein. Dann nur zu!
Checklisten und viele Seiten mit Gründungs-Know-how sind das Allheilmittel gegen die Angst. Sie geben Sicherheit, sind die Rettungsleine, an die man sich klammern kann. Doch über der Konzentration auf das Gründungsprocedere schrumpft die eigentliche Entscheidung, sich selbständig zu machen, zu einem Kästchen in der Checkliste: "Selbständig arbeiten oder nicht?" Ja/Nein. So wird der eigentliche Schritt zur Selbständigkeit zur bloßen Vorentscheidung degradiert. Oder gleich ganz ausgeblendet.
"Wussten Sie schon immer, dass Sie sich einmal selbständig machen wollen? Fein: Jetzt ist nur noch die Frage, wie und womit." Wie in einem Reisebüro eröffnet sich dem Gründungswilligen ein wahres Füllhorn von Optionen. Pauschal und all-inclusive. "Wenn Sie selbständig arbeiten wollen, bieten sich Ihnen eine Fülle von unterschiedlichen Möglichkeiten. Wählen Sie zwischen Neugründung, Franchising und Unternehmensbeteiligung, zwischen sanftem nebenberuflichem Einstieg und dem Start von jetzt auf gleich ..." Was es dagegen heißt, Unternehmer zu sein, welche Fallstricke das Unternehmerdasein bietet und was es an persönlichen Voraussetzungen und Einstellungen erfordert, darüber findet sich in den meisten Büchern nur wenig. Motto: Sie sind durchsetzungsfähig? Belastbar? Können zupacken und auch mal 60 Stunden die Woche arbeiten? Dann nur zu!
Der Unternehmer, das unbekannte Wesen.
Das Ergebnis ist bekannt. Im Bundesdurchschnitt scheitert rund die Hälfte aller Unternehmensgründungen in den ersten drei Jahren. Bei professioneller Begleitung liegt die Erfolgsquote hingegen bei 90 Prozent. Offensichtlich liegt es also maßgeblich am Know-how, über das Gründer, die allein auf sich gestellt waren, nicht verfügten. Denn die Firmengründung ist nur ein Schritt. Maßgeblich ist, was davor und was danach kommt. Die Geschäftsidee und die Frage, ob es einen Markt für sie gibt, also Kunden, deren Probleme sie löst oder deren Zufriedenheit sie steigert. Genau das kommt in den meisten Ratgebern aber nur am Rande vor. Ebenso wie die eigentliche Gründungsentscheidung.
Dennoch wäre es zu kurz gedacht, die Ratgeberliteratur für die miese Selbständigkeitskultur in diesem Land verantwortlich zu machen. Denn die Gründung eines Unternehmens, und sei es noch so klein, ist ein komplexes Projekt und birgt zahlreiche rechtliche und finanzielle Fallstricke. Um ein Unternehmen zu gründen und zu führen, braucht es Kenntnisse und Fertigkeiten. Und darin, dieses Know-how zu vermitteln, sind die Ratgeber gar nicht mal schlecht. Entscheidend aber ist, was nicht drinsteht, was ausgeblendet, vorausgesetzt oder allenfalls kurz abgehakt wird: Was ist und was macht ein Unternehmer? Darüber findet sich in den Ratgebern nur wenig Erhellendes.
Die real existierende Ratgeberliteratur spiegelt nur die mangelnde Selbständigkeitskultur in Deutschland - und schreibt sie damit zugleich fort. Sie ist Ausdruck und zugleich zu einem gewissen Teil auch Ursache dessen, dass in diesem Land Selbständigkeit nicht auf die Beine kommen will. Die Misere liegt freilich tiefer: Es ist die Haltung, Sicherheit zu wollen, ohne Unsicherheit zuzulassen. Für die Sicherheit ist ein starkes Kollektiv zuständig, für das Risiko niemand - diese fatale Schizophrenie ist die Wurzel der verbreiteten Unselbständigkeit der Deutschen, die sich wiederum in ihrer staatsgläubigen Grundhaltung und ihrer Skepsis gegenüber dem Unternehmertum spiegelt.
Insofern reflektiert das mechanistische Gründungsbild der Ratgeber nur die traditionellen Schwierigkeiten, die Deutschland mit dem Unternehmer hat - ebenso übrigens wie das immer noch vorherrschende mechanistische Managementverständnis. Was unternehmerisches Handeln ausmacht, das ist - trotz Schumpeter - noch längst nicht in die Köpfe der Menschen vorgedrungen. Im Gegenteil: Unternehmer werden vielfach als Feindbild wahrgenommen. Tief drin in vielen Köpfen regiert noch die Marx’sche Vorstellung, wonach der Unternehmer sich den Mehrwert aneignet, den die Arbeitnehmer erwirtschaften. Innovation, Entscheidung, Risiko sind dabei untergeordnete Begleiterscheinungen dieses Akts der Aneignung, die bei Marx Ausbeutung heißt. Diese Vorstellung prägt noch immer das Denken. Dagegen kommt Schumpeters "schöpferische Zerstörung" nicht an.
Es geht darum, selbständig zu werden.
Was "schöpferische Zerstörung" als Kennzeichen des unternehmerischen Handelns bedeutet, tritt gerade am Akt der Existenzgründung klar zutage: Wer sich für die Selbständigkeit entscheidet, der bricht Brücken ab. Er zerstört einen Teil seines bisherigen Lebens und entwirft ein neues Koordinatensystem. Er kappt die Taue, die ihm Sicherheit gaben, und lässt sich darauf ein, einen entscheidenden Teil seines Lebens neu und selbst zu gestalten: seine eigene ökonomische Grundlage. Wer gründet, der gibt die alten Sicherheiten auf und wagt sich auf unsicheres Neuland. Er tauscht Sicherheiten gegen Annahmen: vor allem die Sicherheit, die eine regelmäßige monatliche Überweisung auf dem Konto gibt, gegen die Annahme, dass seine Geschäftsidee sich als tragfähig erweisen wird.
Er entscheidet sich für eine aktive Haltung zur Welt. Statt hinzunehmen, was auf ihn zukommt, entscheidet er sich, selbst zu gestalten. Statt passiv eine Arbeitsleistung zu erbringen, die ein anderer bei ihm abruft, entscheidet er selbstbewusst, etwas anzubieten, von dem er nur vage wissen kann, ob andere es nachfragen werden. Anstatt sich im Beziehungsgeflecht einer vorgegebenen Organisation zu bewegen, entscheidet er, selbst Beziehungen aufzubauen: zu Kunden, Geschäftspartnern und Mitarbeitern.
Das setzt voraus, Unsicherheit nicht nur zu akzeptieren, sondern als Freiraum schätzen zu lernen. Denn in einer total sicheren Welt ist alles determiniert; Unsicherheit somit das Pendant zur Freiheit. Sich selbständig machen bedeutet, seine Haltung zur Welt neu zu bestimmen. Es ist die Entscheidung, eine aktive, eine schöpferische Rolle einzunehmen. Genau besehen ist die Formulierung "sich selbständig machen" schon eine Verkürzung - es geht darum, selbständig zu werden. Das Selbstbewusstsein zu entwickeln, zur Welt etwas beitragen zu können. Und die Entscheidung zu treffen, diesen Beitrag leisten zu wollen. Selbstbestimmt, in einem selbstbestimmten Leben.
Echtes Unternehmertum.
Genau dies wäre eine Kultur der Selbständigkeit, die wir in unserem Land so schmerzlich vermissen. Diese Kultur zu verbreiten geht sicher nicht mit Ratgebern allein. Aber auch nicht ohne. Ratgeber reflektieren den Stand theoretischer Debatten. Sie setzen für die Praxis um, was in den Diskursen eines Fachgebiets oder einer Profession ersonnen wird. Sie reflektieren Wertentscheidungen und Ziele ebenso wie ideologische Grundannahmen und das zugrunde liegende Menschenbild. So gesehen, unterstreicht das Bild der Existenzgründung als technisch-instrumenteller, mechanischer Vorgang am allerbesten, dass die Kultur der Selbständigkeit in Deutschland nur ein Nischendasein fristet. Existenzgründung ist kein Verwaltungsakt. Sondern eine Lebensentscheidung, die ohne Intuition, Kreativität und Phantasie nicht getroffen werden kann. Also ohne echtes Unternehmertum.
Ratgeberperlen abseits des Mainstreams.
Abseits des Ratgebermainstreams finden sich auf dem Buchmarkt etliche Bücher, die Existenzgründern mehr bieten als nur Faktenwissen über das Gründungsprocedere. Aus mehr als 20 aktuellen Titeln aus den zurückliegenden Monaten haben wir einige Perlen ausgewählt - eine selektive, aber pointierte Zusammenstellung.
In Deutschland mangelt es nicht nur an einer Kultur der Selbständigkeit. Die deutsche Volkswirtschaft hat ein Umsetzungsproblem: Es hapert an der Umsetzung von Erfindungen in marktfähige Produkte. Und wie es scheint, hängt beides miteinander zusammen. Innovationen, die zwar in Deutschland ersonnen, aber anderswo zum wirtschaftlichen Erfolg geführt haben, sind Legende: das Fax-Gerät, der LCD-Monitor, das digitale Musikformat MP3, auch die Grundlagen der Mobilfunktechnologie wurden in Deutschland gelegt. Vermarktet aber wurden diese Erfindungen anderswo. Schon der Begriff "vermarkten" hat in Deutschland einen negativen Beiklang. Ganz so, als sei das Erfinden das Entscheidende, alles andere nur schnödes Buhlen um Kunden. Doch "vermarkten" heißt, bloße Erfindungen zu Innovationen, also zu verwertbaren, nützlichen Neuerungen zu machen.
Werben, überzeugen, verkaufen!
Doch genau das vernachlässigen viele Gründer. Einer Studie zufolge denken mehr als zwei Drittel der Start-up-Unternehmer nicht an den Kunden, kritisieren die Buchautoren Cordula Nussbaum und Gerhard Grubbe: "Bei uns grassiert das deutsche Phänomen des ‚Happy Engineering‘. Das heißt, viele Unternehmen haben jahrelang an ihrem Angebot herumgebastelt, sich aber keinerlei Gedanken dazu gemacht, ob das überhaupt jemand braucht oder welchen Nutzen die Erfindung bringt."
Mangelndes Kundendenken ist einer der Hauptgründe für wirtschaftliche Erfolglosigkeit, aber nur eine der 100 häufigsten Fallen nach der Existenzgründung, welche die beiden Autoren in ihrem gleichnamigen Buch zusammengetragen haben. Denn das Scheitern hat "meist ganz banale Gründe" - von nicht bedachten Steuerzahlungen bis hin zu nicht wahrgenommener Konkurrenz reichen die in dem Buch anschaulich dargestellten Stolpersteine für Jungunternehmer, unter denen die mangelnde Vermarktung einer der gravierendsten ist. Kurzum, gefragt ist mehr Markt- und Kundenorientierung: werben, überzeugen, verkaufen!
In der Fülle dessen, was man alles falsch machen kann, bilden ausbleibende Aufträge ein zentrales Problem. Genau darum geht es in dem Buch von Allan S. Boress, das den Stoßseufzer eines erfolglosen Gründers als Titel trägt: Jetzt brauche ich Aufträge! Es widmet sich der wichtigsten Eigenschaft eines jeden Existenzgründers: Er muss verkaufen können. Der Autor ist überzeugt, "dass die Fähigkeit, jemanden davon zu überzeugen, dass er etwas kauft, die größte Fertigkeit der Welt ist". Und er zeigt Schritt für Schritt, wie man diese Fertigkeit erlernt.
Entscheidend dafür ist das Selbstbewusstsein, etwas anzubieten, aus dem der Kunde einen wirklichen Nutzen zieht. Erst die starke Verbindung zwischen Selbst- und Kundenwahrnehmung schafft die Grundlage für den Verkaufserfolg: "Der Erste, dem Sie etwas verkaufen müssen, sind Sie selbst. Sie müssen 100-prozentig davon überzeugt sein, dass Sie, wenn Sie in der Haut des Käufers steckten, die angebotene Dienstleistung zum angebotenen Honorar kaufen würden", schreibt Boress in seinem Buch, das sich vor allem an Dienstleister wendet, die überzeugen müssen, ohne ein fertiges Produkt vorweisen zu können. Diese grundlegende Einsicht gilt freilich für alle Anbieter, auf egal welchem Markt.
Auch das Ziel führt zum Weg.
Überzeugen ist auch das Thema eines kleinen Büchleins, das kein Gründungsratgeber im engeren Sinne ist, aber doch viel mit dem Thema zu tun hat. Es geht um eine Präsentationstechnik, die aus den USA stammt. Dort passten in den 1990er Jahren findige Start-up-Gründer potentielle Venture-Capital-Geber im Aufzug ab, um diesen in der kurzen Fahrtzeit bis zur Büroetage ihr Gründungsprojekt vorzustellen. Elevator Pitch heißt diese Methode, sein Vorhaben in einigen knappen Sätzen überzeugend zu präsentieren - in einer Zeitspanne, die nicht länger als eine Aufzugfahrt dauert. Joachim Skambraks führt in einem Büchlein der 30-Minuten-Reihe des GABAL Verlags in die Aufzugpräsentation ein und vermittelt dabei vor allem eines: die Fähigkeit zu absoluter Reduktion und gedanklicher Klarheit. Denn: "Nur wenn Ihre Ziele klar sind, können Sie diese auch erreichen und überprüfen", so der Autor. Nicht zuletzt gilt das für Gründer.
Nicht selten besteht das Problem jedoch darin, dass Ziele nicht klar sind. Menschen, die eine klare Idee haben, von der sie überzeugt sind, tun sich leichter mit einer Existenzgründung als solche, die selbständig arbeiten wollen, aber nicht wissen, wie. Wer von Selbständigkeit träumt, aber noch nicht die richtige Geschäftsidee gefunden hat, dem bietet Sylvia Englerts Ratgeber Welche Selbstständigkeit passt zu mir? zahlreiche Anregungen. Das einfühlsam geschriebene Buch der changeX-Redakteurin coacht Gründungswillige auf dem Weg in eine maßgeschneiderte Selbständigkeit. Und räumt mit dem Klischee auf, dass immer die Idee am Anfang stehen müsse. Auch das Ziel führt zum Weg.
Das illustriert auf unterhaltsame Weise auch Markus Frankls Gründerbiographie Wer nichts wird, wird Wirt. Frankl, der zunächst nicht wusste, was er werden sollte, sich dann als Tellerwäscher und Aushilfskoch durchschlug, tat das einzig Richtige: Er wurde Wirt. Und gründete eine Kneipe, die binnen kurzer Zeit zu einem der angesagtesten In-Lokale Münchens avancierte. Eine Geschichte, die das versammelte Ratgeberwissen über den Haufen wirft - und dann doch wieder bestätigt. Das Buch zeigt, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss. Von Frankl stammt auch die Gründerweisheit mit dem höchsten Erfolgspotential: "Ich wollte einfach nur etwas Sinnvolles tun, etwas, das mir Spaß macht und mich ausfüllt."
Zu den beliebten Ratgeberklischees gehört auch der Existenzgründer, der ganz auf sich gestellt seine Firma aufbaut. "Über 50 Prozent der Existenzgründungen erfolgen im Team", hält die Gründungsspezialistin Svenja Hofert dagegen. Die Autorin, die bereits den Bestseller Praxisbuch Existenzgründung verfasst hat, wendet sich nun der Existenzgründung im Team zu und spricht dabei auch die vielfältigen Reibungs- und Konfliktpunkte an, die bei einem gemeinsamen Gründungsprojekt auftauchen können. Ein eher "klassischer" Ratgeber mit vielen Checklisten und viel Gründungs-Know-how, der sich durch die ungewohnte Teamperspektive vom Mainstream abhebt. Know-how aber, von dem fraglich ist, ob es in Gründerhirnen seine Wirkung entfaltet. Hoch verdichtetes Ratgeberwissen läuft Gefahr, ungenutzt zu versanden, weil es letztlich ohne Bedeutung bleibt - das menschliche Gehirn funktioniert nun mal anders als eine Festplatte.
Unausweichliche Fehler.
Einen gänzlich anderen Weg gehen daher Thomas Fuchs, Reinhard Rossmann und Daniel Schandl in ihrem Businessroman Die sieben Todsünden der Existenzgründung: Sie erzählen eine Geschichte im Stil eines orientalischen Märchens. Sie handelt von Bara, dem Sohn eines reichen Geschäftsmannes, der von diesem vor die Tür gesetzt wird, damit er sich im Leben bewähre. Mitbekommen hat er nur einige Goldstücke und ein Pergament, auf dem der Vater die besagten Todsünden notiert hat - verbunden mit dem guten Rat, diese nie zu vergessen. "Denn wer sie nicht kennt, wird sie begehen."
Und Bara begeht sie, unausweichlich. Denn ihre Bedeutung erschließt sich ihm erst, nachdem er die Fehler gemacht hat. Bara will schnell reich werden und macht falsch, was man falsch machen kann. Ohne sich von seinen Mitbewerbern abzusetzen und chronisch unterfinanziert stolpert der junge Gründer von einem Geschäftsabenteuer zum nächsten, und nur der gute Rat wohlmeinender Partner bewahrt ihn vor dem totalen Ruin - und das kann man getrost als Fingerzeig verstehen. Denn eine Gründung ist nur selten ein Alleingang. Guter Rat ist dabei unverzichtbar, nicht nur der aus einem Ratgeber.
Baras höchst lehrreiche Geschichte ist damit zugleich eine Parabel auf die faktenüberladene Standard-Ratgeberliteratur - in einem doppelten Sinne: Sie betont die Bedeutung des guten Ratgebers aus Fleisch und Blut. Und sie relativiert die Rolle des schriftlich niedergelegten Wissens. Schließlich hat Bara die Pergamentrolle mit den Ratschlägen seines Vaters ständig bei sich, nur erschließt sich ihm deren Bedeutung erst dann, als er schon in die Falle getappt ist.
Fazit: Faktenwissen ist nicht alles. Wohldosiert bleibt es in dem kleinen, bei Books on Demand erschienenen Büchlein ebenfalls nicht ausgeblendet. Es findet sich in komprimierten Zwischenkapiteln, die zugleich den Zugang zu weiterführenden Informationen erschließen, ohne den Leser zu erschlagen. Gemessen an Anschaulichkeit, Prägnanz und Klarheit sind Baras Abenteuer derzeit das beste Existenzgründungsbuch auf dem Markt. Ein kleiner Geheimtipp abseits des Ratgeberallerleis. Die Autoren haben sich ganz offensichtlich den ersten Lehrsatz der sieben Todsünden zu Herzen genommen: "Wer nicht schafft, im eigenen Tun das Anders-Sein zu finden, wird in der Masse untergehen und vom Markt verschwinden." Denn die Unternehmensgründung nach Schema F ist - dem Ratgebermainstream zum Trotz - ein Holzweg.
Unfreiwillig selbständig.
Auch in einem dritten Aspekt ist das Buch eine Parabel: Ganz freiwillig wird der Kaufmannssohn Bara nicht zum Gründer. Der junge, an den Luxus gewöhnte Lebemann muss erst vor die Türe gesetzt werden, damit er sein Schicksal annimmt und den Wunsch des Vaters, er möge ein erfolgreicher Geschäftsmann werden, zu seiner eigenen Mission macht. Ohne den Zwang der wirtschaftlichen Verhältnisse, so kann man folgern, tut sich nichts. Differenz ist der Motor der Wirtschaft. So gesehen sind die Chancen für eine neue Kultur der Selbständigkeit gar nicht so schlecht.
Die bibliographischen Angaben zu den vorgestellten Büchern finden Sie in der rechten Spalte.
changeX 05.07.2006. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zu den Büchern
Allan S. Boress: Jetzt brauche ich Aufträge!. Aufträge akquirieren, Kundenbeziehungen pflegen, erfolgreich am Markt bestehen. REDLINE WIRTSCHAFT, München 2005, 308 Seiten, ISBN 3-636-01192-8
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Sylvia Englert: Welche Selbstständigkeit passt zu mir?. Existenzgründung maßgeschneidert. Carl Hanser Verlag, München 2005, 200 Seiten, ISBN 3-446-40021-4
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Markus Frankl: Wer nichts wird, wird Wirt. How to open a bar. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2005, 159 Seiten, ISBN 3-499-62050-2
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Thomas Fuchs / Reinhard Rossmann/Daniel Schandl: Die sieben Todsünden der Existenzgründung. Wer sie nicht kennt, wird sie begehen!. Books on Demand, Norderstedt 2005, 120 Seiten, ISBN 3-8334-2530-X
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Svenja Hofert: Existenzgründung im Team. Der erfolgreiche Weg in die Selbständigkeit. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2006, 280 Seiten, ISBN 3-8218-5897-4
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Svenja Hofert: Praxisbuch Existenzgründung. Erfolgreich selbständig werden und bleiben. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004, 416 Seiten, ISBN 3-8218-3889-2
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Cordula Nussbaum / Gerhard Grubbe: Die 100 häufigsten Fallen nach der Existenzgründung. Rudolf Haufe Verlag, Planegg 2006, 216 Seiten, ISBN 3-448-06214-6
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Joachim Skambraks: 30 Minuten für den überzeugenden Elevator Pitch. GABAL Verlag, Offenbach 2004, 79 Seiten, ISBN 3-89749-449-3
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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