Wirtschaft bunt remixed
Das wunderbare Wirtschaftssammelsurium - zusammengestellt und herausgegeben von der Redaktion des Economist.
Von Winfried Kretschmer
Wissenssplitter beliebig zusammengemixt, das bieten die zunehmend beliebten Sammelsurien. Ihre Beliebigkeit aber ist ein subversiver Reflex auf das Paradox des Wissens in der Wissensgesellschaft: Je mehr sich das Wissen aufbläht, desto weniger wissen wir. Und so Überraschender muss Wissen daherkommen, damit wir es wissen wollen. Jetzt auch über die Welt der Wirtschaft.
Es ist noch nicht allzu lange her, da hatte der Begriff Sammelsurium einen abwertenden Beiklang. Ein Sammelsurium, das meinte etwas, das sich mehr oder weniger zufällig beieinander findet, eine beliebige Zusammenstellung von Dingen unterschiedlicher Art und Qualität. Dann kam Ben Schott mit seiner bunten Mixtur willkürlicher und oft kurioser Wissenstatbestände - und trat eine Lawine los. Weil sich das Prinzip des Sammelsuriums, die Beliebigkeit, auf die unterschiedlichsten Wissensgefilde anwenden lässt, nimmt die Folge immer neuer Elaborate schier kein Ende. Ben Schott hat seinem Bestseller zwei weitere Kompendien hinzugefügt ( Essen & Trinken sowie Sport, Spiel & Müßiggang); in Deutschland trat Christian Ankowitsch auf den Plan, der aus seinem Zettelkasten diverse Haus- und Handbücher zusammenzimmerte; und seit Kurzem gibt es sogar ein Kleines Katzen-Sammelsurium in der praktischen Buchhandels-Verkaufsbox für alle Liebhaber des vierbeinigen Kind-Ersatzes.
Wo so viel Spaß am willkürlich Zusammengestellten zutage tritt, durfte die Wirtschaft nicht fehlen. So hat sich die Redaktion des Economist darangemacht, Wissensschnipsel aus der Welt der Wirtschaft zusammenzutragen. Nun ist das Business Miscellany in einer ergänzten und auf die hiesige Wirtschaft zugeschnittenen deutschen Fassung erschienen. "Auch das noch!", werden die Kritiker der zwischen Buchdeckel gefassten Beliebigkeit aufstöhnen. Ihnen sei entgegengehalten: Sammelsurien sind ein subversiver Reflex auf das Paradox des Wissens in der Wissensgesellschaft. Alle fünf bis sieben Jahre verdoppelt sich das weltweit verfügbare Wissen - und sprengt die menschlichen Speicherkapazitäten. Je mehr sich das Wissen aufbläht, desto weniger wissen wir. Und was wir wissen, ist notwendigerweise unvollständig, bruchstückhaft und von schnellem Verfall bedroht. Die so beliebig erscheinenden Sammelsurien sind somit nur eine - teils durchaus ironische - Reaktion auf das offensichtliche Scheitern enzyklopädischen Bemühens.

"Beiß die Wachskaulquappe".


So ist das im Wirtschaftssammelsurium zusammengetragene Wissen zwangsläufig bruchstückhaft und bleibt manchmal auf hanebüchene Weise oberflächlich - da aber Kürze die Voraussetzung für die dargebotene bunte Vielfalt ist, liegt darin gerade der Reiz: Etwas zu lernen, aber möglichst etwas Überraschendes. Und eben nicht zu tief in eine Materie einzutauchen. So erfährt man, dass die Börse in New York um 9:30 Uhr öffnet und es zu dieser Zeit in Bombay bereits 20 Uhr ist, entnimmt einer detaillierten Statistik, dass der Dow Jones Index zwischen 1969 und 2004 eine Wertsteigerung von 1.185,3 Prozent verbuchen konnte, dass in Großbritannien der Mindestlohn 44 Prozent des Durchschnittseinkommens beträgt - sucht aber auf der anderen Seite viele wirtschaftliche Basisdaten vergeblich. Vielmehr lernt man, dass Bertelsmann täglich 1,25 Millionen Bücher verkauft, Coca-Cola hingegen 1,3 Milliarden Getränke und dass McDonald's in 30.000 Restaurants in 119 Ländern fast 50 Millionen Kunden abspeist, ebenfalls pro Tag versteht sich. Fragt sich, warum man das wissen sollte? Gegenfrage: Warum nicht? Letztlich muss der Leser entscheiden, was für ihn wichtig ist - das ist die Realität der Wissensgesellschaft.
So kann man sich mit dem Wirtschaftssammelsurium entspannt zurücklehnen und den dargebotenen Daten, Fakten, Zitaten und Statistiken einen Sinn abringen - oder eben nicht. Hätten Sie gewusst, dass der Markenname Volvo aus dem Lateinischen stammt und "ich rolle" bedeutet? Oder dass Nikon eine Abkürzung von Nippon Kongaku ist, was zu Deutsch ganz banal "japanische Optik" heißt? Oder dass Coca-Cola bei der Markteinführung der braunen Brause in China ziemlich danebenlangte? Das Unternehmen wählte Schriftzeichen, die phonetisch wie der englische Produktname klangen - dummerweise aber mit "beiß die Wachskaulquappe" eine gänzlich andere Bedeutung hatten.

Firmengründung leicht gemacht.


Viele der Wissenssplitter regen zum Schmunzeln an, andere zum Nachdenken. Zum Beispiel dass eine Firmenneugründung in Deutschland mit 45 Tagen länger dauert als in Burundi, wo man mit 43 Tagen hinkommt. Am längsten muss man in Laos warten, bis man sich Unternehmer nennen darf; 198 Tage dauert es dort, wobei die Zahl der einzelnen Abläufe zur Registrierung einer neuen Firma mit neun genauso hoch ist wie bei uns. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland denn auch ziemlich gleichauf mit Albanien, Burkina Faso, Madagaskar und Nicaragua, wo Gründer einen vergleichbar langen Atem haben müssen. Am schnellsten zur eigenen Firma kommt man übrigens in Australien (2 Tage, 2 Vorgänge), in Kanada (3/3) und in Dänemark (4/4). So schnell kann's gehen.
Dagegen ist Deutschland bei den Unternehmenssteuern spitze. Zwar wurden diese zwischen 1998 und 2004 um 23,62 Prozent gesenkt - aber mit einem durchschnittlichen Steuersatz von 38,29 Prozent rangiert unser Land immer noch im internationalen Spitzenfeld. Höher werden Unternehmen nur in den USA mit 40 und in Japan mit 42 Prozent besteuert. Unter den Ländern, die ihre Steuersätze heruntergeschraubt haben, finden sich - wenig überraschend - viele Globalisierungsgewinner. So hat Irland mit 12,5 Prozent den niedrigsten Steuersatz, nach einer Senkung um satte 60,94 Prozent. Statt Gewinne besteuert man auf der Insel lieber den Konsum. Mit einem Umsatzsteuersatz von 21 Prozent liegt das Land in der internationalen Spitzengruppe. Führend sind Dänemark, Ungarn und Schweden mit jeweils 25 Prozent Umsatz- beziehungsweise Mehrwertsteuer.

Murphy's Law im Original.


So kann man aus dem Wirtschaftssammelsurium herauslesen, was einem gefällt und aufschlussreich erscheint - und lernt dabei noch eine ganze Menge an Wissenswertem über das Funktionieren von Wirtschaft. Was aber nutzt es? Statt einer Antwort hier lieber die Originalformulierung von Murphy's Law, wie sie der US-amerikanische Ingenieur Edward A. Murphy 1949 geprägt hat: "Wenn es zwei oder mehrere Arten gibt, etwas zu erledigen, und eine davon kann in einer Katastrophe enden, so wird sich jemand für diese Art entscheiden."

The Economist (Hg.):
Das wunderbare Wirtschaftssammelsurium.
Econ Verlag, Berlin 2006,
270 Seiten, 16.95 Euro,
ISBN 3-430-20004-0
www.econ-verlag.de

Winfried Kretschmer ist leitender Redakteur und Co-Geschäftsführer bei changeX.

© changeX Partnerforum [20.10.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Das wunderbare Wirtschaftssammelsurium. . Econ Verlag, Berlin 1900, 270 Seiten, ISBN 3-430-20004-0

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Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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