Wenn Auszubildende das Handtuch werfen
Immer mehr Auszubildende brechen ihre Lehre ab.
Was ist los in Deutschlands Ausbildungsbetrieben? Die Frage ist berechtigt, denn jeder vierte Auszubildende bricht seine Ausbildung ab, meist schon im ersten Lehrjahr. Und meist, weil er sich im Betrieb nicht wohl fühlt, mit seiner Ausbildung unzufrieden ist oder mit Chef oder Ausbilder nicht zurechtkommt.
Schon seit längerem wächst die
Unzufriedenheit der Azubis mit ihren Ausbildungsverhältnissen.
Ende der 70er Jahre lag der Anteil der "vorzeitig gelösten
Ausbildungsverhältnisse", so die offizielle Bezeichnung, noch bei
rund zwölf Prozent. Dann stieg die Abbrecherquote drastisch an
und erreichte am Beginn der 90er Jahre einen Höchststand von mehr
als 25 Prozent.
Vermutlich wegen der schwierigen Situation auf dem
Lehrstellenmarkt setzte dann ein leichter Rückgang ein, doch seit
Mitte der 90er Jahre steigt die Quote wieder - auf erneut 25
Prozent im Jahr 2001. Vor allem Industrie und Handel sowie das
Handwerk verzeichneten einen steilen Anstieg. Im Handwerk ist der
Anteil der Abbrecher auch besonders hoch; 31,4 Prozent der
Auszubildenden warfen hier vorzeitig das Handtuch. Am niedrigsten
liegt die Quote im öffentlichen Dienst, wo 1994 nur kurz die
Zehn-Prozent-Marke überschritten wurde und sich der Wert seither
bei etwa acht Prozent bewegt. Insgesamt waren es 2001 rund
155.000 Auszubildende, die ihren Ausbildungsvertrag vorzeitig
lösten - wohlgemerkt in einer angespannten Situation auf dem
Ausbildungsmarkt.
Keine Aussteiger.
Aufgeschreckt durch diesen Anstieg hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) eine Umfrage unter Ausbildungsabbrechern gestartet, an der sich gut 2.000 junge Leute beteiligt haben. Demnach liegen die Gründe für den Abbruch in ganz konkreten Erfahrungen mit der Ausbildung im Betrieb. Denn nur vier Prozent haben es sich offenbar noch schnell anders überlegt und den Vertrag vor Ausbildungsbeginn gekündigt. Der überwiegende Anteil der Ausbildungsverträge wurde im ersten Ausbildungsjahr gelöst, die Hälfte davon bereits in der Probezeit. Offensichtlich ist es auch nicht so, dass die jungen Leute zur späten Einsicht kamen, dass sie den falschen Beruf gewählt hätten oder für das Lehrlingsdasein generell nicht taugten. Denn jeder zweite Befragte begann nach der Vertragslösung erneut eine Berufsausbildung, davon mehr als die Hälfte wieder in dem Beruf, in dem sie ihre Ausbildung begonnen hatte. Ganz offensichtlich handelt es sich bei den Abbrechern überwiegend nicht um Aussteiger oder um wechselhafte junge Menschen, die ihre Berufspläne nach den ersten konkreten Erfahrungen über den Haufen warfen.
Betriebliche Gründe führend.
Die Gründe liegen woanders, und da spricht das Ergebnis der Studie eine deutliche Sprache. "Gründe, die in der betrieblichen Sphäre angesiedelt sind, sind in den meisten Fällen der Anlass für Vertragslösungen", resümiert Klaus Schöngen vom BiBB. 70 Prozent aller Abbrecher führten solche betrieblichen Gründe für ihren Schritt an. Meist verbergen sich dahinter Konflikte mit Ausbildern oder Betriebsinhabern (60 Prozent). Die schlechte Vermittlung von Ausbildungsinhalten (43 Prozent), ungünstige Arbeitszeiten (31 Prozent) und ausbildungsfremde Tätigkeiten (26 Prozent) waren weitere Gründe, die für die Vertragslösung genannt wurden. Nur selten gibt aber ein Grund allein den Ausschlag. Beinahe die Hälfte der Befragten nannte persönliche Gründe, jeder dritte Schwierigkeiten mit Berufswahl und beruflicher Orientierung.
Zweifel an der Ausbildungsqualität in Mittelstand und Kleinbetrieben.
Solche "berufswahlorientierten
Gründe" wurden vor allem von Abbrechern aus Großbetrieben
genannt, bei Vertragslösern aus Kleinbetrieben gaben überwiegend
die betrieblichen Gründe den Ausschlag. Auch ist bei den
Kleinbetrieben insgesamt die Zahl der Abbrecher
überdurchschnittlich hoch. Fast drei Viertel aller Befragten (73
Prozent) hatten ihre Ausbildung in kleinen Betrieben bis 49
Beschäftigte begonnen, nur sieben Prozent stammen aus
Großbetrieben mit 500 und mehr Beschäftigten. "Das weist darauf
hin, dass Vertragslösungen weitgehend ein Problem von
Kleinbetrieben darstellen", betont Klaus Schöngen.
In der Lux Kultur Agentur betrachtet man die Ergebnisse der
Studie mit Sorge, denn sie wirft auch ein schlechtes Licht auf
die Ausbildungsqualität in der mittelständischen Wirtschaft. Der
sind nicht nur viele Kleinbetriebe zuzurechnen, sondern auch die
Betriebe mittlerer Größe, die mit einer Abbrecherquote von 20
Prozent immer noch deutlich über den großen Industriebtrieben
liegen. In der Lux Kultur Agentur kennt man die Situation in den
Ausbildungsbetrieben aus erster Hand und ist über die Ergebnisse
der BiBB-Studie nicht wirklich überrascht, denn seit Jahren
arbeitet die Agentur im Ausbildungsbereich. Den hohen Anteil
betrieblicher Gründe wertet Agenturchef Gerhard Lux dennoch als
Alarmsignal. "Wenn mehr als 100.000 junge Leute ihre Ausbildung
abbrechen, weil sie mit ihrem Ausbildungsbetrieb nicht
zurechtkommen, dann ist das ein Zeichen, dass etwas getan werden
muss", sagt er.
Ausbildungsmotto: "Lehrjahre sind keine Herrenjahre."
Die Gründe für die prekäre
Situation seien jedoch vielschichtig. "Wenn junge Leute von der
Schule in den Betrieb wechseln, treffen zwei unterschiedliche
Welten aufeinander", erklärt Lux. Denn die Erwartungshaltungen
differieren - auf beiden Seiten. Während sich die jungen
Auszubildenden häufig noch als Lernende sehen, erwartet der
Betrieb Einsatz und die Übernahme von Verantwortung. Auch der
steigende Anteil höherer Bildungsabschlüsse schlägt sich nieder.
"Auszubildende werden älter, sind besser informiert und haben
andere Erwartungen an die Ausbildung wie auch an die Ausbilder;
sie erwarten einen respektvollen Umgang miteinander", sagt
Gerhard Lux. Darauf seien die Ausbildungsbetriebe oftmals
unzureichend vorbereitet. "Häufig mangelt es an pädagogischem
Wissen, wie Konflikte mit Auszubildenden gelöst werden können."
Nicht zuletzt sei die Qualität der Ausbildung häufig mangelhaft.
"Gerade in technischen Berufen herrscht immer noch eine
traditionelle Ausbildungsstruktur vor", kritisiert Lux. Frei nach
dem Motto: "Lehrjahre sind keine Herrenjahre."
Lösungsansätze sieht man vor allem in zwei Bereichen:
Einerseits in einer Verbesserung der kommunikativen Situation im
Betrieb, andererseits in einer verstärkten Hilfestellung für die
Jugendlichen während der Berufsorientierung durch eine intensive
Zusammenarbeit von Schule und Ausbildungsbetrieb. Gegenseitiges
Verständnis zwischen Auszubildenden und Ausbildern fördern,
lautet die Devise. Ziel ist die Verbesserung des Arbeitsklimas.
Das setzt indes voraus, dass in den Betrieben ein
Problembewusstsein vorhanden ist - was offensichtlich gerade bei
Klein- und mittelständischen Betrieben nicht unbedingt der Fall
ist. Gerade Kleinbetriebe verharren in einem traditionellen
Ausbildungsverständnis, das im "Lehrling" zuerst die günstige
Arbeitskraft sieht. Das kollidiert mit den Erwartungen einer
zunehmend selbstbewussten jungen Generation, für die das Lernen
und ihre Ausbildung im Vordergrund stehen. Lösen lässt sich dies
nur, indem man die Qualität der Ausbildung konsequent verbessert
- gerade im Klein- und mittelständischen Betrieb. Denn, so Lux,
"gute Ausbildungsqualität sichert Zukunft!"
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.