Wandel der Arbeit

Gestaltungsräume im Zeitalter der Komplexität - Folge 5 und Schluss
Von Cornelius Patscha, Holger Glockner und Klaus Burmeister

Wie werden wir in Zukunft arbeiten und leben? Thema der Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland". Ein Positionspapier steckt das Feld ab: eine Kurzfassung in fünf Folgen. Folge 5 beschreibt die zukünftige Arbeit - und wagt einen Ausblick.

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In der Wissensgesellschaft heißt die neue Währung Innovation. Nicht umsonst ist ein internationaler Wettkampf um Wissen entbrannt. Noch führen die traditionellen Industrieländer dieses Rennen an, doch die aufstrebenden Schwellenländer holen beständig auf. Chinesische Universitäten bilden Scharen von Ingenieuren aus. Indische IT-Spezialisten sind weltweit gefragt. 2012 wurden in China zum ersten Mal mehr Patente angemeldet als in den USA.  

Da die deutsche Gesellschaft schrumpft, muss ein größerer Anteil jedes Bildungsjahrgangs in Deutschland eine Hochschulausbildung absolvieren, um zumindest die absolute Zahl der Akademiker halten zu können und bei der Innovationsfähigkeit in Zukunft nicht zurückzufallen. Von ähnlicher Wichtigkeit für die Entwicklung der Wirtschaft ist aber auch ein ausreichendes Potenzial qualifizierter Facharbeiter. In der alltäglichen Arbeit von Unternehmen ist die Verschmelzung des akademischen Forschungsansatzes mit praktischen Tätigkeiten wichtig, die Kombination von Fach- und Erfahrungswissen. Das Ziel ist eine Steigerung der Innovationsfähigkeit auf allen Ebenen eines Unternehmens, von der inkrementellen Prozessverbesserung bis zum Umgang mit Innovationen, die aufgrund ihres disruptiven Charakters das eigene Geschäftsmodell hinterfragen. Damit diese Verknüpfung auch funktionieren kann, stellt sich die Frage, wie Facharbeiter ohne akademische Ausbildung so geschult werden können, dass die Zusammenarbeit mit der akademischen Forschung gefördert und vereinfacht wird. Dies gilt nicht nur für Großunternehmen, die in aller Regel darauf schon großen Wert legen, sondern vermehrt auch für mittelständische und aufstrebende kleine Unternehmen. Es geht letztendlich um die Durchdringung von akademischer und dualer Ausbildung. Dabei könnten sich zu starre Berufsbilder als Hemmschuh erweisen. So wird es in Zukunft wichtiger werden, eine gedankliche und praktische Entwicklung weg von fixen Berufsbildern hin zu flexibleren Tätigkeitsfeldern anzustoßen.  

Aufgrund der modernen Kommunikationstechnologien ist Wissensarbeit nicht mehr räumlich gebunden. Neben dem festen Arbeitsplatz im Unternehmen etabliert sich vermehrt die flexible Arbeit von zu Hause aus. Neben die räumliche Entgrenzung der Arbeit im Homeoffice, Zug-Office und Überall-Office tritt zudem die zeitliche Entgrenzung der Arbeit durch flexible Arbeitszeiten, Vertrauensarbeitszeit und ergebnisorientiertes Arbeiten. Der Trend zur projektorientierten Arbeitsorganisation in der Wirtschaft beschleunigt diese Entwicklung wie auch den Wandel von starren zu flachen Hierarchien und partizipationsorientierten Führungsstilen. Für die Arbeitnehmer bedeutet dies einerseits einen Zugewinn an persönlicher Flexibilität und Selbstbestimmung, andererseits aber auch eine wachsende Verantwortung und Arbeitsbelastung.


Flexibilisierung der beruflichen Perspektive


Schon heute zeigen die Statistiken der Krankenkassen einen massiven Anstieg psychischer Erkrankungen innerhalb der vergangenen 20 Jahre. Allein im Jahr 2011 kosteten psychische Leiden, die auf Probleme am Arbeitsplatz zurückzuführen sind, die deutsche Volkswirtschaft geschätzte 6,3 Milliarden Euro. Zwar sieht die Bundesregierung derzeit keinen akuten Handlungsbedarf. Es ist jedoch anzunehmen, dass den Unternehmen, die diese Kosten zu tragen haben, die Suche nach Maßnahmen zur Eindämmung dieser Entwicklung unter den Nägeln brennt.  

Bei aller Diskussion über die Entwicklung prekärer Arbeitsverhältnisse ist allerdings auch festzustellen, dass das Normalarbeitsverhältnis weiterhin die dominante Beschäftigungsform darstellt. Befristete Arbeitsverträge und Teilzeitarbeit werden außerdem nicht notwendigerweise von allen in dieser Form Beschäftigten als prekär angesehen und erlebt, sondern können eine durchaus gewünschte Flexibilisierung der beruflichen Perspektive oder der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben darstellen.  

Die Belegschaften von Unternehmen werden bunter. Wo früher die Arbeitnehmer eine relativ homogene Gruppe von Menschen waren, werden Abteilungen und Teams zunehmend heterogen organisiert; dadurch treten Unterschiede zwischen Alten und Jungen, Männern und Frauen, verschiedenen akademischen und kulturellen Hintergründen deutlicher zutage.  

Durch den daraus entstehenden Wissensaustausch, das gegenseitige Voneinander-Lernen und die Erweiterung des Horizonts werden heterogene Teams zu Innovationsinkubatoren. Doch neben die gestiegenen Chancen für die Generierung von Innovationen treten auch die Risiken für eine Zunahme von Konflikten. Diversity Management ist ein durchaus heikles Unterfangen, denn es erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an sozialer Kompetenz.  

Als eine Quelle für Konflikte scheint sich im verstärkten, wenn auch nicht politisch korrekten Maße der steigende Anteil weiblicher Führungskräfte in der Wirtschaft zu erweisen. Viele Unternehmen suchen nach qualifizierten Frauen, die offene Stellen besetzen können, um die unternehmensinterne Frauenquote zu erhöhen und die Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zu erfüllen. Die verstärkte Beförderung von Frauen scheint jedoch bei einem guten Teil der wiederholt übergangenen, ähnlich, gleich oder besser qualifizierten männlichen Kollegen mittleren Alters zunehmende Frustrierung hervorzurufen, da sich ihre Aussicht auf einen baldigen Karrierefortschritt eintrübt.


Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe


Für Unternehmen wird in Zukunft neben einer fairen monetären Vergütung eine attraktive, die Mitarbeiter motivierende Unternehmenskultur zum zentralen Faktor, um die begehrten Talente anwerben und halten zu können. Potenzielle Mitarbeiter achten verstärkt darauf, wie ein möglicher Arbeitgeber seine gesellschaftliche Verantwortung versteht und annimmt, und inwieweit sie sich selbst durch Teilhabe in Entscheidungsprozessen in den Beruf einbringen können. Das Schrumpfen des Erwerbspersonenpotenzials könnte in der Zukunft dafür sorgen, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer etwas mehr auf Augenhöhe begegnen.  

Um als Arbeitnehmer bis ins Alter beschäftigungsfähig zu bleiben, wird angesichts der Akkumulation neuen Wissens lebenslanges Lernen für jeden zum Muss. Ohne verbindliche Unterstützung seitens der Arbeitgeber und ohne ein ausreichendes Angebot an Fortbildungsprogrammen seitens der Bildungsträger wird lebenslanges Lernen jedoch weiterhin ein Schlagwort bleiben. Es ist eine Binsenweisheit, dass das Lernen umso schwerer fällt, je älter man wird. Eventuell wird man auch die Grenzen der Möglichkeit, lebenslang lernen zu können, anerkennen müssen.  

Sollte die Unzufriedenheit über die negativen Auswirkungen der materiell orientierten Konsum- und Leistungskultur weiter steigen, könnte ein verstärkter Trend hin zu der bereits angesprochenen neuen Kultur des Selbermachens entstehen, die in diesem Fall jedoch mehr im Kontext eines autarken oder kooperativen Individualismus zu sehen ist. So könnte beispielsweise die Arbeit in der privaten kleinen landwirtschaftlichen Kooperative auf dem Land im Kreis von Freunden für eine wachsende Anzahl von Menschen attraktiver werden, als sich weiter im Hamsterrad der Konsumgesellschaft für einen letzten Endes wenig erfüllenden Zuwachs seines materiellen Besitzes zu quälen.


Kernthesen


  • Eine stärkere Verschränkung akademischer und dualer Ausbildung gewinnt für die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft an Bedeutung. Dies erfordert auch ein Umdenken vom Berufsbild hin zum Tätigkeitsfeld.

  • Hinter dem Konzept des lebenslangen Lernens stehen die Anforderungen einer wissensbasierten Ökonomie, die nicht alle gleichermaßen erfüllen können. Deshalb wird es darauf ankommen, einer sozialen Spaltung entgegenzuwirken.

  • Die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung durch Unternehmen, die Unternehmenskultur und Möglichkeiten zur Teilhabe an Entscheidungsprozessen werden neben dem Gehalt zu Hauptauswahlkriterien, an denen Arbeitnehmer einen potenziellen Arbeitgeber messen.


Zukunft gemeinsam meistern


Die Zukunft kann nur gemeinsam gemeistert werden. Dem Staat kommt dabei weiterhin eine tragende Lenkungsfunktion zu: Mit intelligenten Steuerungselementen kann der Staat die Effektivität seiner begrenzten Mittel erhöhen, indem er die Aktionen von Unternehmen und Privatleuten in ihrer Wirkung verstärkt. Außerdem muss der Staat ein funktionierendes Sicherheitsnetz zur Verfügung stellen. Unternehmen als Teil unserer Gesellschaft kommt aber ebenfalls eine gesellschaftliche Verantwortung zu - zumindest kann von ihnen erwartet werden, die bestehenden Probleme nicht noch zu verstärken. Und die deutsche Bevölkerung wird die Notwendigkeit akzeptieren müssen, in Zukunft stärker eigenverantwortlich für die Wechselfälle des Lebens vorzusorgen.  

Deshalb führt an einem ehrlichen Dialog über die begrenzte Kraft des Staates, in Zukunft die Daseinsfürsorge zu gestalten, kein Weg vorbei. Da die Menschen über die zunehmende Sinnentleerung ihres Lebens angesichts einer vermehrten Ausrichtung des Lebens auf Konsum, der Ökonomisierung immer weiterer Lebensbereiche und der fortschreitenden Instrumentalisierung des Menschen klagen, wird aber noch eine viel grundlegendere Diskussion anstehen: über unsere Wirtschafts- und Lebensweise, gesellschaftliche Werte und Ziele des Lebens. Die Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland" will dazu einen Beitrag leisten.  


changeX 29.10.2013. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Klaus Burmeister
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Klaus Burmeister ist Gründer und Managing Partner von Z_punkt The Foresight Company.

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Holger Glockner
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Holger Glockner ist Director Foresight Consulting / Member of the Management von Z_punkt.

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Cornelius Patscha
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Cornelius Patscha ist Foresight Analyst bei Z_punkt. Er studierte Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Internationale Wirtschafts-beziehungen und Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und der Universidad de Logroño in Spanien. Dabei sammelte er Forschungserfahrung in der Entwicklungsökonomie und praktische Erfahrung im Bereich Corporate Foresight.

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