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Bewegung in Resonanz
Viele Trendsportarten der Vergangenheit waren betont leistungs- und konkurrenzorientiert: Tennis, Laufen, Triathlon. Und selbstbezogen dazu, wie auch die ganze Fitnesswelle. Eine Trendforscherin registriert nun eine Gegenbewegung: von der Ego-Orientierung hin zur Suche nach Verbundenheit, nach Gemeinschaft, nach Resonanz. Im Fokus: neue "Resonanzsportarten" wie Stand-up-Paddling, Surfen oder auch gemeinsames Singen im Chor.
Nicht Langsamkeit oder Entschleunigung ist die Antwort auf die zunehmende Beschleunigung in der modernen Welt, sondern Resonanz. Sagt der Soziologe Hartmut Rosa. Resonanz als In-Beziehung-Stehen zur Welt, als das Gefühl, dass die Welt antwortet. Der Trendforscherin Oona Horx-Strathern hat dieses Konzept geholfen, den Kern mancher aktuellen Trends im Sport zu verstehen. Sie spricht von neuen "Resonanzsportarten". Wir haben nachgefragt.
Oona Horx-Strathern stammt aus London. Seit über 20 Jahren ist sie Trendforscherin, Beraterin, Rednerin und Autorin. Sie schrieb Bücher über Futurologie und Architektur der Zukunft und arbeitete an zahlreichen Studien des Zukunftsinstituts mit. Ihr Artikel "mind:sports - Die neuen Resonanzsportarten: Wie uns Bewegung aus der inneren Isolation befreit" ist im Zukunftsreport 2018 des Zukunftsinstituts erschienen.
Frau Horx-Strathern, sagen Sie uns bitte: Was sind Resonanzsportarten?
Viele Menschen sind heute auf der Suche nach Aktivitäten, die sie nicht nur körperlich und geistig fit halten, sondern auch wieder "in Resonanz" bringen. Dieser Kontakt mit der Natur, mit anderen Menschen und mit einem selbst ist auch eine Form von Therapie. Resonanzsport geht also weit über die Yogamatte oder das Fitnessstudio hinaus.
Und reicht wohin?
Resonanzsportarten befördern eine Verbundenheit mit der Umwelt, der Natur, mit einem selbst und mit anderen Menschen. Alle diese Verbindungen finden gleichzeitig statt. Zum Beispiel bei Sportarten wie Surfen, Stand-up-Paddling, Tanz, Chor ...
Welche Rolle spielt dabei Resonanz?
Resonanzsportarten können einen Impuls auslösen, der unser Leben, unsere Sichtweise, unsere inneren Einstellungen verändert. Über die zu erwartenden positiven Auswirkungen auf unser körperliches und geistiges Wohlbefinden hinaus. Resonanzsport zieht Menschen an, die auf der Suche nach einer neuen Verbundenheit sind. Nach einer realen Verbundenheit, die sie auch aus dem digitalen Autismus befreit.
Stellen wir das Digitale noch kurz zurück. Zunächst: Was bedeutet Resonanz?
"Resonanz" im physikalischen Sinne ist definiert als eine Vibration mit einer großen Amplitude in einem mechanischen oder elektrischen System. Verursacht wird sie von einem vergleichsweise kleinen Impuls. Man bekommt also eine große Schwingung durch eine kleine zurück.
Im weiteren Sinne beziehen Sie sich auf Hartmut Rosa und sein Buch Resonanz?
Ja. Hartmut Rosa geht ausdrücklich auch auf den Sport und auf das Verhältnis von Körper und Geist beim Sport ein. Er beobachtet, dass die Steigerungs- und Optimierungszwänge der Spätmoderne dazu tendieren, die Resonanzqualitäten von Schule, Arbeit, Politik und Familie für viele Menschen stark zu reduzieren. Und aus diesem Grund scheint, so Rosa, der Sport als Resonanzachse immer mehr an Bedeutung zu gewinnen. Er spricht von einer Antwortbeziehung, einem Resonanzverhältnis zwischen Geist und Körper. Und schreibt: "Der Geist fühlt sich freier, der Körper auf eine andere Weise belebt oder auch müde als nach einem ganzen Tag am Schreibtisch."
Sie stellen dieses neue Modell dem alten gegenüber: Resonanzsport versus Fitnesssport. Welche Eigenschaften zeichnen diese beiden Modelle aus? Beziehungsweise was unterscheidet sie?
Der Unterschied zwischen Resonanz- und Fitnesssport lässt sich in fünf Begriffspaaren fassen: Verbundenheit versus Effektivität, Gemeinschaft versus Individuum, Wir-Kultur versus Ich-Kultur. Nicht zuletzt ist Resonanzsport extrovertiert und humorvoll, Fitnesssport jedoch introvertiert und ernst. Resonanzsport sucht Verbundenheit in der Gemeinschaft, Fitnesssport wurzelt im Individuum und zielt auf Selbstoptimierung. Es geht auch um eine Form von Achtsamkeit, mit weniger Konkurrenzaspekten als bei traditionellen Sportarten.
Wie passt Achtsamkeit zu dem gemeinschaftsorientierten Charakter von Resonanzsport?
Es stimmt, Achtsamkeit wird normalerweise als Innenschau beschrieben. Dem Surf-Guru Sam Bleakley zufolge ist Surfen als Praktik der Achtsamkeit jedoch alles andere als introvertiert. Er schreibt in Mindfulness and Surfing, Surfen "nimmt uns nicht hinein in eine imaginäre innere Mitte, in der Frieden herrscht, sondern hinaus in die Welt, in unser Umfeld, und hilft uns, uns darin zu orientieren und unseren Platz zu finden". Bleakley erkennt in dieser Dynamik eine Bewegung von "Ego" nach "Öko", von Egozentrismus zu Ökologie, die eine körperliche Form von Achtsamkeit hervorrufen kann.
Haben Sie ein Beispiel?
Die therapeutische Wirkung des Surfens im Speziellen wurde erkannt von einer Gruppe, die sich "The Wave Project" nennt. Diese Wohltätigkeitsorganisation mit dem Ziel, Leben durch Surfen zu verändern, ist inzwischen an neun verschiedenen Orten im Vereinigten Königreich vertreten und hilft jungen benachteiligten Menschen, Selbstvertrauen aufzubauen und Stress zu reduzieren. Mit Erfolg: Einer unabhängigen Studie zufolge kann über einen Zeitraum von drei Jahren in den Persönlichkeiten der jungen Leute eine deutliche Transformation von Isolation und Verwundbarkeit hin zu Motivation und Resilienz beobachtet werden. Sie fühlen sich als Teil von etwas Größerem, entwickeln ein neues Selbstbild als Surfer - und erleben sich selbst so als aktiv, kompetent und genussfähig.
Als zentrales Beispiel für einen Resonanzsport führen Sie Stand-up-Paddling an. Worauf stützt sich diese Wahrnehmung?
Stand-up-Paddling ist ein gutes Beispiel für einen Resonanzsport, weil es Balance, Natur, Achtsamkeit und physische Herausforderung verbindet. Stand-up-Paddling findet immer mehr Anhänger, weil es auch ein Gegengift ist gegen einen zunehmend abstrakten, digitalisierten Alltag. Im Gegensatz zu Yoga oder Fußball ist SUP auch bei Frauen und Männern gleichermaßen beliebt.
Die Entwicklungen im Sportbereich sind sehr vielfältig und unübersichtlich. Welche Trends beobachten Sie?
Die klassischen Fitnesssportarten erleben offensichtlich einen Backlash. Und Yoga hat seinen Zenit anscheinend überschritten in einer Zeit, in der unter anderem "Ziegenyoga" praktiziert wird - Yoga-Übungen, an denen tatsächlich eine lebende Ziege beteiligt ist!
Yoga sehen Sie nicht als Resonanzsport. Warum?
Haben Sie während einer Yogastunde je jemanden lachen oder sich mit jemand anderem unterhalten hören? Der Trendsport Yoga ist introvertiert und ernst, also kein Resonanzsport - denn der ist immer extrovertiert und fröhlich. "Resonanz" bedeutet "eine Reaktion hervorrufend", und im Idealfall besteht diese Reaktion aus einem ansteckenden Lachen. Wobei nicht nur die Verbundenheit mit anderen im Vordergrund steht, sondern auch die Verbundenheit mit sich selbst. Man sucht nach einem tieferen Echo.
Kritisch gefragt: Werden hier nicht bloß zwei kontingente, also ursprünglich nicht zusammenhängende Trends übereinandergelegt und in einen Zusammenhang gebracht: Rosas Konzept der Resonanz und die wachsende Beliebtheit von Stand-up-Paddling?
Damit habe ich kein Problem. Wir können viel mehr verstehen, wenn wir interdisziplinär denken. Das Konzept von Rosa hat mir geholfen, den Kern von manchen Sporttrends zu verstehen, die in Zeiten der Digitalisierung und zunehmender Einsamkeit eine Renaissance oder starkes Wachstum verzeichnen. Auch Projekte wie das "Good Gym" in England gehören dazu. Dahinter verbirgt sich eine Gruppe von Joggern, die die Resonanz des Laufens auf ein neues Level bringen wollen. Sie verbinden sportliche Aktivität mit guten Taten, indem sie zu einer hilfsbedürftigen Person laufen. Älteren Menschen, die das Haus nicht verlassen können, bringen sie beispielsweise die Zeitung und bleiben noch auf ein Schwätzchen bei einer Tasse Tee - ja, das ist very british. Andere "Good Gym"-Läufer laufen zum Beispiel in einen Park, um dort Abfall aufzusammeln oder Bäume zu pflanzen. So kommen die Jogger sozusagen in doppelte Resonanz, mit ihrem Körper und mit dem Sozialen.
Stichwort "in Zeiten der Digitalisierung": Es gibt im Sport eine Gegenbewegung zur Digitalisierung?
Die Digitalisierung gibt mehr denn je die Möglichkeit, uns zu verbinden, aber immer öfters bleibt das unbefriedigend. Ein Backlash zur Digitalisierung ist vor allem die Sehnsucht nach contact sports …
… "contact sports" meint?
"Kontakt" vor allem im Seelischen, in der persönlichen Begegnung, in der sich zwischen Menschen etwas tut, was über Training und Schwitzen hinausgeht. Kontakt auch mit sich selbst, mit den eigenen Gefühlen und Wünschen. Sport als gemeinsame Therapie. In einem Fitnessstudio ist man eigentlich ziemlich alleine. Der körperliche Kontakt ist natürlich auch wichtig, aber den gibt es wohl auch beim Fußball …
Dennoch: Einer der stärksten Trends im Sportbereich sind Wearables, also Geräte, die die sportliche Leistung tracken und der Auswertung und Analyse zugänglich machen. Das ist sehr ichbezogen - und digital dazu.
So stark, wie man dachte, ist der Trend dann doch nicht geworden. Wearables finden zwar ganz guten Absatz, aber sie verschwinden auch wieder ziemlich schnell in der Schublade. Das hat einerseits damit zu tun, dass viele Wearables eine Steigerungskomponente quasi eingebaut haben: Man misst ja alles, und das soll dann immer mehr werden. Das stresst irgendwann und macht unentspannt. Andererseits lernt man, irgendwann selbst einzuschätzen, wie hoch der Puls ist, und dann braucht man das ewige Messen nicht mehr. Man entwickelt wieder ein eigenes Körpergefühl. Wearables sind eine Art Paradox im Markt, sie "widerlegen" sich gewissermaßen selbst.
Wie stark ist der Trend zum Resonanzsport, den Sie identifizieren? Ist das ein bestimmender Trend?
Es geht hier nicht so sehr um gigantische Zahlen, sondern um eine Art Basisbewegung, die sich langsam organisiert und zu neuen sozial oder sehr natürlich ausgerichteten Sportarten hinführt. Da spielen Sehnsüchte eine wichtige Rolle.
Singen im Chor bezeichnen Sie ebenfalls als Resonanzsport. Weist das darauf hin, dass die gemeinschaftsstiftende Funktion von Freizeitbetätigungen in den Vordergrund rückt, egal ob im Sport oder anderswo?
Allein im Vereinigten Königreich kommen jede Woche zwei Millionen Menschen in Chören zusammen. "Chorgesang ist eine atavistische Erfahrung", sagt der britische Philosoph Roger Scruton. Inzwischen gibt es auch Rock-Chöre, die Popsongs intonieren. Das Singen verbindet Menschen auf eine urtümliche Art und Weise. Das macht Singen zum Resonanz-"Sport": Egal ob klassische Musik oder Rock, Chorgesang ist nicht nur eine spirituelle, sondern eine Gemeinschaftserfahrung. Übrigens ist Singen auch körperlich anstrengender, als man denkt. Man braucht eine Menge Energie. Typisch für diese Amateurchöre ist, dass jeder, unabhängig von Talent oder gesellschaftlicher Klasse, daran teilnehmen kann. Einer der Organisatoren soll auf die Frage, was einen perfekten Chor definiert, geantwortet haben: "Einer, in dem gemeinsam gelacht wird."
Es geht um neue (respektive neue alte) Formen, Gemeinschaft zu finden? Ist das der entscheidende Punkt?
Das Unternehmen "Choirs at work" bringt diese Idee zum Arbeitsplatz. Der Chor ist ein effektives Instrument, um zwischen Kollegen ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen in einer Zeit, in der viele extrem mobil sind, von zu Hause aus, projektbasiert oder in Teilzeit arbeiten. In der Mittagspause oder nach der Arbeit treffen sich abteilungs- und hierarchieübergreifend die Mitarbeiter eines Unternehmens, um zu singen. Das verändert auch die Atmosphäre in der alltäglichen Arbeit.
Wenn wir gemeinsam singen, schlagen unsere Herzen gemeinsam im Takt, sagt man. Wir fühlen uns einander nah, wir verlieren uns, und doch gewinnen wir eine größere Stimme.
Das Interview haben wir schriftlich in einer Frage- und einer Nachfragerunde geführt.
Zitate
"Viele Menschen sind heute auf der Suche nach Aktivitäten, die sie nicht nur körperlich und geistig fit halten, sondern auch wieder 'in Resonanz' bringen. Resonanzsportarten befördern eine Verbundenheit mit der Umwelt, der Natur, mit einem selbst und mit anderen Menschen." Oona Horx-Strathern: Bewegung in Resonanz
"Resonanzsportarten können einen Impuls auslösen, der unser Leben, unsere Sichtweise, unsere inneren Einstellungen verändert." Oona Horx-Strathern: Bewegung in Resonanz
"Resonanzsport sucht Verbundenheit in der Gemeinschaft, Fitnesssport wurzelt im Individuum und zielt auf Selbstoptimierung." Oona Horx-Strathern: Bewegung in Resonanz
"Stand-up-Paddling ist ein gutes Beispiel für einen Resonanzsport, weil es Balance, Natur, Achtsamkeit und physische Herausforderung verbindet." Oona Horx-Strathern: Bewegung in Resonanz
"Wir können viel mehr verstehen, wenn wir interdisziplinär denken." Oona Horx-Strathern: Bewegung in Resonanz
"Resonanzsport zieht Menschen an, die auf der Suche nach einer realen Verbundenheit sind, die sie aus dem digitalen Autismus befreit." Oona Horx-Strathern: Bewegung in Resonanz
changeX 09.02.2018. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Oona Horx-Strathern: "Mind Sports. The Search for Resonance or the Escape from Digital Autism", Posted on 8th January 2018:mind-sports
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zu The Wave Projectwww.waveproject.co.uk
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zu Good Gymwww.goodgym.org
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zu den Rock-Chörenwww.rockchoir.com
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zu Choirs at Workwww.choirsatworkltd.com
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Service: Zum Zukunftsreport auf der Seite des ZukunftsinstitutsZukunftsreport 2018
Zum Buch
Matthias Horx (Hg.): Zukunftsreport 2018. Das Jahrbuch für gesellschaftliche Trends und Business-Innovationen. Zukunftsinstitut, Frankfurt am Main 2017, 160 Seiten, 134 Euro, ISBN 978-3-945647-46-2
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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