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Auf Arbeit Augenhöhe
Kann man es sehen, wenn ein Unternehmen anders, humaner arbeitet? Man kann. Und wenn man es sehen kann, dann kann man es auch filmen. Das war die Ausgangsidee einer der spannendsten Initiativen in der sich formierenden Bewegung für eine bessere Arbeitswelt: Ein Dokumentarfilm über Unternehmen, die eine andere Art von Zusammenarbeit pflegen. Ein Film, der seinen Titel davon ableitet, wie die neue Zusammenarbeit geschieht: auf Augenhöhe.
Silke Luinstra, Ulf Brandes und Sven Franke - auf dem Foto von links nach rechts - bilden zusammen mit Daniel Trebien und Philipp Hansen das Kernteam des Projekts Augenhöhe. Das Ziel: Einen Dokumentarfilm über die neue, humane Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts zu produzieren - einen Film, der zeigt, dass eine andere Arbeitswelt möglich ist. Am 18. Juli startet Augenhöhe in die heiße Phase der Crowdfunding-Kampagne zur Finanzierung des Projekts.
Silke, Ulf und Sven haben ihr Vorhaben auf dem PM Camp in Berlin vorgestellt. Dort entstand auch unser Foto. Im changeX-Interview berichten Silke und Sven über das Projekt.
Silke, Sven, euer Projekt Augenhöhe hat schon erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Erzählt mal: Was genau habt ihr vor?
Silke: Wir produzieren einen Film über eine neue Arbeitswelt: eine, in der eine andere Art von Zusammenarbeit - eben auf Augenhöhe - gepflegt wird. Dazu besuchen wir Firmen, in denen so eine Kultur schon gelebt wird und die dabei ökonomisch sehr erfolgreich sind. Wir möchten inspirieren und Mut machen, das eigene Umfeld aufmerksam wahrzunehmen und Veränderungen anzustoßen.
Und was treibt euch an?
Silke: Wir glauben daran, dass Menschen gerne arbeiten - wenn sie es selbstbestimmt tun, wenn sie dabei lernen und zu einem größeren Ganzen beitragen können. Ich ganz persönlich möchte meinen Kindern eine andere Arbeitswelt hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe. Dazu wird allein schon die Dynamik der Märkte beitragen, die mitdenkende Mitarbeiter erforderlich macht. Nur glaube ich, dass es gut ist, auch auf die Menschen und ihre Bedürfnisse zu schauen. Nur so können wir ihr Potenzial annähernd ausschöpfen, zum Wohl des Menschen und der Unternehmen.
Ihr seid zu fünft?
Silke: Ja, wir sind fünf Menschen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Philipp, unser jüngstes Mitglied im Team, ist gerade mit dem Studium fertig und hat seine Abschlussarbeit über hierarchiefreie Unternehmen geschrieben. Sven, Ulf und ich sind Berater im Kontext neue Arbeitswelt. Und Daniel bringt die Filmkompetenz ins Projekt ein - vereint mit systemischem Know-how. Wir sind uns auf einer Veranstaltung von intrinsify.me - der Bewegung für selbstbestimmtes und sinngetriebenes Arbeiten - begegnet, haben uns zusammengefunden und sind an dieser Idee drangeblieben.
Wie ist diese Idee entstanden?
Sven: Wir beschäftigen uns schon seit Jahren mit der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts. Im Dezember 2013 haben wir in einer Open-Space-Veranstaltung die Frage gestellt: "Wie wollen wir im 21 Jahrhundert arbeiten?" In dieser Session kam dann die Frage auf, ob man den Spirit des 21. Jahrhunderts in einer Organisation sehen könne. Wir waren uns sicher, dass man das sehen kann - und dann war der nächste Schritt unausweichlich: Wenn man es sehen kann, dann kann man es auch filmen. Das war die Geburtsstunde des Films.
Woran kann man das sehen?
Sven: Es sind viele kleine Kriterien. Allein schon, wenn man ins Unternehmen kommt: Es ist freundlich, es ist offen, die Mitarbeiter strahlen einen an. Daran merkt man schon: "Wow, da ist etwas anders. Irgendwie fühle ich mich wohl."
Silke: Es ist das Gefühl, dass diese Freundlichkeit von Herzen kommt. Antrainiert freundlich sind viele, aber bei diesen Unternehmen ist das echt.
Würdet ihr sagen, man kann den Spirit einer Organisation spüren?
Silke: Ja …
Sven: ... würde ich auch sagen. Für mich hat das mit dem Menschenbild zu tun: Wie begegne ich dem anderen? Basiert die Organisation auf Wertschätzung? Gibt es einen Vertrauensvorschuss? Vertraut man also den Mitarbeitern, dass sie zum jeweiligen Zeitpunkt das Richtige tun, ohne das überprüfen und überwachen zu wollen?
Silke: Dazu gehört, wie mit Fehlern umgegangen wird. Was passiert, wenn einmal etwas schiefgeht? Viele, viele Mechanismen in Standardunternehmen sind auf das Vermeiden absichtlicher Fehler ausgerichtet. Die aber kommen ganz selten vor. Die Unternehmen, die wir porträtiert haben, sagen: Wir wissen, dass Dinge schiefgehen können; wenn das passiert, werden wir daraus lernen. Und wir haben Mechanismen eingebaut, die verhindern, dass es häufig passiert. Aber wir kontrollieren die Leute nicht aus Misstrauen. Wenn es ein Vier-Augen-Prinzip gibt, dann, um die Qualität sicherzustellen und Versehen auszuschließen. Nicht, weil man vermutet, dass die Leute - ganz platt gesagt - zu blöd sind, ihren Job richtig zu machen.
Nach welchen Kriterien wählt ihr denn die Unternehmen aus, die ihr porträtiert? Was gibt da den Ausschlag?
Silke: Bauchgefühl. Natürlich gibt es einen Entscheidungsprozess, letztendlich entscheidet aber das Gefühl. Das ist wie im Bewerbungsverfahren, wo am Ende eine Handvoll Kandidaten übrig sind, die alle Anforderungen erfüllen, du aber bei dreien weißt: Die sind es nicht. Irgendetwas sagt dir das. So ist das auch bei den Unternehmen.
Sven: Unternehmen haben sich auch bei uns beworben. Wir besuchen diese Firmen dann, gucken sie an und wollen unabhängig mit Mitarbeitern und mit Führungskräften darüber reden, was sich in den letzten Jahren im Unternehmen verändert hat. So bekommt man schnell ein Gespür, ob hier Wertschätzung und Vertrauen herrschen oder ob nur bunte Wände und höhenverstellbare Schreibtische eingeführt wurden.
Silke: Wir haben bisher auch nur Unternehmen porträtiert, die wir schon länger kennen, wo wir also mehr als einen momentanen Eindruck haben, wie die funktionieren.
Was hat euch bei den Unternehmen, die ihr besucht habt, am meisten beeindruckt? Gab es da Erlebnisse mit Wow-Effekt?
Silke: Für mich war einer der bewegendsten Momente das Interview mit einem Hausmeister, der sagte: "Ich komme mit einem ganz anderen Gefühl auf Arbeit, ich bin innerlich frei." Das finde ich eine unglaublich starke Aussage!
Sven: Mich hat der Dreh bei Premium Cola wirklich beeindruckt. Premium Cola entscheidet alles im Konsent und das mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit und Schnelligkeit. Entscheidungen werden in zehn, 15 Minuten getroffen. Mich hat sehr beeindruckt, wie dort diskutiert wird: wirklich auf Augenhöhe. Jeder kann frei äußern, was er meint, ohne dafür in irgendeiner Form angegangen zu werden.
Wie schaffen die das, so schnell zu Entscheidungen zu kommen? Es ist ja immer der Standardvorbehalt gegenüber direkt-demokratischen Verfahren, dass diese zu endlosen Diskussionen führen würden.
Silke: Einmal ist der Endbuchstabe wichtig - entschieden wird nicht im Konsens, sondern im Konsent . Konsent ist etwas komplett anderes: Man bespricht ein Thema, jemand macht einen Beschlussvorschlag, und die anderen prüfen dann nur noch, ob sie gegen diesen Vorschlag ein begründetes, schwerwiegendes Veto haben, ob sie also damit auf keinen Fall leben können. Das ist eine ganz andere Hürde: Nicht "Es wäre schön, wenn da noch ein Blümchen dran wäre!" ist der Punkt, sondern "Kann ich damit leben, dass kein Blümchen dran ist?". Das macht Entscheidungen schneller, weil nicht jeder versucht, noch sein Blümchen unterzubringen um im Bild zu bleiben. Hinzu kommt: Die Mitarbeiter haben das miteinander geübt. Anfangs hat es länger gedauert, inzwischen aber funktioniert das wirklich sehr elegant, und man hat nicht das Gefühl, alle wollten nur schnell fertig werden. Und fast alles, was bei diesen Meetings diskutiert wird, haben die Mitarbeiter schon online über ihre Tools vorbesprochen. Deswegen geht es im Treffen Face to Face schneller, weil man nicht wieder bei Adam und Eva anfangen muss.
Habt ihr ein Beispiel oder ein Erlebnis von euren Drehterminen, das symbolisch oder exemplarisch für die neue Arbeitswelt steht?
Silke: Ja, in diesen Unternehmen wird unglaublich viel gelacht - viel mehr, als ich es in anderen Unternehmen erlebt habe. Nicht über blöde Witze, sondern einfach, weil es Freude macht. Die haben echt Spaß bei dem, was sie tun.
Sven: Da drückt sich eine Offenheit aus, vor allem in der bereits angesprochenen Fehlerkultur. Ein Mitarbeiter sagte uns: "Ich habe eine falsche Entscheidung getroffen und wir sind diesen Weg drei Monate gegangen - heute sagt keiner, er habe es besser gewusst oder hätte es doch gleich gesagt. Sondern es wird akzeptiert." Der Mitarbeiter kann frei sagen: Ja, ich habe eine falsche Entscheidung getroffen, aber das wird hier akzeptiert und ich kann dazu stehen. Ich muss nichts unter den Tisch kehren, damit bloß nichts rauskommt.
Silke: Ein anderes "unserer" Unternehmen geht noch weiter. Sie sagen: Fehler gibt es eigentlich gar nicht, denn jeder handelt nach bestem Wissen und Gewissen - und kann somit aus seiner Sicht eigentlich keinen Fehler machen. Schon begrifflich ist das "Fehlermachen" problematisch: Wenn, dann passieren Fehler; sie werden aber nicht gemacht, sonst wären sie Sabotage. Meist ist es doch so: Im Nachhinein stellt sich heraus, dass etwas anders verlaufen ist, als man sich das vorgestellt hat. Dann muss man eine neue Entscheidung treffen, kann aber nicht die erste Entscheidung als falsch betrachten. Entscheidungen zu bewerten ist im Nachhinein immer einfach - wenn man drei Monate weiter ist und weiß, wie die Welt sich weitergedreht hat -, aber in dem aktuellen Moment kann man es eben nicht.
Noch mal zurück zu eurem Projekt: Wo steht ihr im Moment?
Silke: Wir haben in drei Unternehmen gedreht - fast 50 Stunden Material liegen auf den Festplatten. Wir möchten gerne noch in zwei weiteren Unternehmen drehen, um die Vielfalt zu erhöhen. Und dann steht die gesamte Postproduktion an, vor allem die Auswahl des Materials und der Schnitt.
Der Trailer vermittelt schon einen ersten Eindruck. Wie soll der Film aussehen?
Silke: Wir planen einen Film von 30 bis 45 Minuten Länge, der Menschen aus fünf verschiedenen Organisationen zeigt. Wir möchten mit den Zuschauern teilen, was wir an beeindruckenden Formen der Zusammenarbeit in den Unternehmen gefunden haben. In jedem dieser Unternehmen gibt es verschiedene Arbeitsweisen, die in ihrer Gesamtheit zu einer völlig neuen Art der Zusammenarbeit führen. Mit dem Film möchten wir inspirieren und Mut machen. Daher auch "Film und Dialog": Im Anschluss an Filmvorführungen wird es Dialoge geben, damit jede Zuschauerin, jeder Zuschauer sich mit anderen austauschen und erste Ideen entwickeln kann, wie in der eigenen Umgebung Impulse für eine andere Zusammenarbeit gesetzt werden können.
Steht das Storyboard bereits? Oder ist das Projekt eher als Work in Progress angelegt?
Silke: Wir arbeiten explorativ. Wir suchen nicht, sondern schauen, was wir in den Unternehmen finden. Das ist unglaublich faszinierend - obwohl wir uns schon lange mit der neuen Arbeitswelt beschäftigen und viel gelesen haben, hätten wir nicht im Vorhinein alle die Arbeitsweisen und Formen der Zusammenarbeit zusammentragen können. Es gibt so viele Facetten - und nur wenn man offen in den Prozess geht, entdeckt man die.
Ihr finanziert das Projekt über Crowdfunding - warum?
Silke: Diese moderne Finanzierungsform entspricht sehr unserem Denken und Credo der Beteiligung: Viele Menschen können mit kleineren und größeren Beiträgen dafür sorgen, dass der Film in die Welt kommt - und mit ihm die Gedanken einer anderen Art von Zusammenarbeit.
Sven: So gern wir es möchten, wir können den Film nicht ohne Unterstützung fertigstellen …
Silke: ... das auch deshalb, weil wir den Film, wenn er fertig ist, unter Creative-Commons-Lizenz kostenlos für nicht kommerzielle Zwecke zur Verfügung stellen wollen, damit ihn möglichst viele Menschen sehen können. Uns geht es vor allem um die Verbreitung. Wer uns unterstützt, unterstützt den Gedanken, dass die Arbeitswelt wirklich besser sein kann.
Und wie geht‘s weiter?
Silke: Momentan sind wir in der Fan-Phase. Dass wir nach sechs Tagen die erforderliche Menge von 100 Fans erreicht haben, freut uns natürlich riesig - aber jetzt bloß nicht lockerlassen! Jetzt starten wir in die Finanzierungsphase und freuen uns dann über jeden, der etwas beiträgt, finanziell oder indem er die Kampagne weiterverbreitet.
Das Interview haben wir in einem Google-Doc vorbereitet und in einer Skype-Konferenz fortgeführt und vervollständigt.
Zitate
"Wir glauben daran, dass Menschen gerne arbeiten - wenn sie es selbstbestimmt tun, wenn sie dabei lernen und zu einem größeren Ganzen beitragen können." Silke Luinstra, Sven Franke: Auf Arbeit Augenhöhe
"Ich ganz persönlich möchte meinen Kindern eine andere Arbeitswelt hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe." Silke Luinstra: Auf Arbeit Augenhöhe
"Für mich war einer der bewegendsten Momente das Interview mit einem Hausmeister, der sagte: ,Ich komme mit einem ganz anderen Gefühl auf Arbeit, ich bin innerlich frei.‘ Das finde ich eine unglaublich starke Aussage!" Silke Luinstra: Auf Arbeit Augenhöhe
changeX 17.07.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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