Flexibel und zufrieden?

Flexible Arbeitswelten - Folge 3
Report: Werner Eichhorst und Verena Tobsch

Traditionelle Formen der Beschäftigung und Arbeitsorganisation ändern sich. Nur in welchem Ausmaß und in welcher Geschwindigkeit? Und wohin geht die Entwicklung? Thema einer fünfteiligen Serie, die auf dem Bericht "Flexible Arbeitswelten" an die Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland der Bertelsmann-Stiftung basiert. Folge 3: Auswirkungen der Flexibilisierung auf die Arbeitszufriedenheit.

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Die ersten beiden Folgen befassten sich mit einer Bestandsaufnahme zum Thema "Entgrenzung". In Folge drei geht es nun um die Auswirkungen der Flexibilisierung auf die Arbeitszufriedenheit. 

Aus ökonomischer Sicht sind die Veränderungen ein Gewinn. Mehr innerbetriebliche Flexibilität und eine Restrukturierung von Unternehmen, die vor allem die Verlagerung von Risiken auf Zulieferer, Dienstleister und atypisch Beschäftigte bedeutet, schafft verbesserte Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Rentabilität. Dazu trägt auch das internationale Outsourcing bei. Tendenziell verschlechtert es zwar die Arbeitsmarktposition von Geringqualifizierten, zugleich stabilisiert es jedoch andere Arbeitsplätze, wie verschiedene Untersuchungen zeigen.


Arbeitszufriedenheit weitgehend konstant


Trotz dieser fundamentalen Veränderungen ist die Arbeitszufriedenheit in Deutschland über die letzten zwei Jahrzehnte weitgehend konstant geblieben. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln liegt der Anteil an Beschäftigten, die mit ihrer Arbeit zufrieden sind, konstant bei rund 90 Prozent. Dieser Wert ergibt sich aus Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin von 2011, einer Befragung im Auftrag des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von 2012 und des European Working Conditions Survey (EWCS) von 2010.  

Dennoch, bei manchen Formen atypischer Beschäftigung findet sich eine geringere Arbeitszufriedenheit. Dazu gehören etwa die Zeitarbeit oder der Niedriglohnsektor, wenngleich hier die (Lebens-)Zufriedenheit immer noch höher liegt als bei Erwerbslosen - darauf weisen die Soziologen Werner Nienhüser und Wenzel Matiaske hin. Auch die (wahrgenommene) Arbeitsplatzunsicherheit vermindert die Arbeitszufriedenheit, und Rationalisierungsmaßnahmen können sich ebenfalls in gewissem Ausmaß negativ auf die verbleibenden Belegschaften auswirken, wie verschiedene Untersuchungen zeigen.  

Flexibilität oder Entgrenzung sind jedoch aus Sicht der Individuen keinesfalls durchweg negativ. Untersuchungen zeigen: Flexible Arbeitszeiten können nicht nur die betriebliche Effizienz verbessern, sondern auch die Work-Life-Balance. Ähnliches gilt für mobiles Arbeiten. Dabei werden moderate Arbeitszeiten in Vollzeit oder längere Teilzeit in vielen Fällen als das gewünschte Optimum angesehen, wie etwa Gert Grözinger gezeigt hat. So wie andere Autoren weist er auch darauf hin, dass die Zufriedenheit von Erwerbstätigen in Vollzeit zunimmt, wenn diese die Arbeitszeit selbst bestimmen können. So werden etwa negative Effekte wie Absentismus reduziert.  

Gut belegt ist auch, dass sehr lange und atypisch gelagerte Arbeitszeiten oft als Belastung wahrgenommen werden und die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit in vielen Fällen den subjektiv empfundenen Stress verstärkt. Zeitdruck und Stress, insbesondere durch quantitative Überforderung, gehen mit vermehrten körperlichen und psychischen Beschwerden einher. Psychische Diagnosen haben in den letzten Jahren überproportional stark zugenommen, was auch mit einer veränderten Zuschreibung von Problemlagen auf (arbeitsbezogene) psychische Belastungszustände erklärt werden kann. Diagnosen wie "Burnout" treffen Sozialberufe und Frauen überdurchschnittlich stark, schreiben etwa die Autoren des Fehlzeiten-Reports 2012.


Bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Leben


Zugleich gilt aber auch, dass mobiles und flexibles Arbeiten zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Leben beitragen. Bei höher Qualifizierten und bei einer guten Entsprechung von Ausbildung und Tätigkeit ist die Arbeitszufriedenheit tendenziell höher, insbesondere dann, wenn komplexe Arbeitsinhalte mit größerer Autonomie bearbeitet werden können. Ein angemessenes Verhältnis von Anforderungen und Anerkennung sowie Autonomie erhöhen die Zufriedenheit, vor allem wenn dies durch entsprechende Ausbildung unterstützt wird, wenn innerbetriebliche Vertrauensbeziehungen bestehen und wenn auf zu enge Kontrollen verzichtet wird.  

Firmeneigene Mitarbeiterbefragungen kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Als ausschlaggebend für die Arbeitszufriedenheit nannten die Mitarbeiter Anerkennung, Wertschätzung durch mehr Verantwortung, eine größere Autonomie und einen erweiterten Entscheidungsspielraum. Eine adäquate Bezahlung spielt hingegen eine eher nachgeordnete Rolle. So sind die meisten der befragten Beschäftigten laut einem Bericht des IW Köln mit ihrer Arbeit zufrieden, obwohl sie sich einen höheren Lohn vorstellen könnten.


Mehr Flexibilität, aber auch größere Handlungsspielräume und Freiheiten


Auch eine Studie des Deutschen Führungskräfteverbandes aus dem Jahr 2012 kommt zu diesen Schlussfolgerungen: Dort werden Arbeitsverdichtung und Zeitdruck als Faktoren genannt, die eine psychische Erschöpfung begünstigen. Die Fach- und Führungskräfte kritisieren in dieser Studie besonders das mangelnde Bewusstsein der Unternehmensleitung über die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Auch Quantität und Qualität betrieblicher Präventionsangebote werden als kaum ausreichend eingeschätzt. Dem widersprechend stellt wiederum das IW Köln heraus, dass viele Unternehmen das Gesundheitsmanagement als personalpolitisches Handlungsfeld entdeckt haben. Knapp 66 Prozent der Unternehmen haben 2012 eine Maßnahme zur Gesundheitsförderung umgesetzt. Darüber hinaus sehen nur 19,1 Prozent der Beschäftigten ihre Gesundheit durch ihre Arbeit gefährdet. Die konkreten Auswirkungen flexibler Arbeitsorganisation auf einzelne Beschäftigte hängen somit sehr stark von der konkreten organisatorischen Ausgestaltung, den innerbetrieblichen Führungsbeziehungen und individuellen Merkmalen ab. Stress resultiert aus dem Missverhältnis von Anforderungen und Ressourcen der Bewältigung und Unterstützung. Er ist damit abhängig von der Arbeitsorganisation auf der einen und von individuellen Voraussetzungen auf der anderen Seite.  

Interviews der Autoren mit verschiedenen Unternehmen haben ergeben, dass besonders das mittlere Management für Überlastungserscheinungen anfällig ist. Grund dafür sind ehrgeizige Ziele, die nur mit häufigen betrieblichen Reisen, ständiger Erreichbarkeit und Flexibilität zu erreichen sind. Eine Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Familie gestaltet sich unter diesen Anforderungen schwierig, zumal in Zeiten von Personalabbau zusätzlicher Druck auch auf diese Beschäftigten ausgeübt wird. Daher ist es gerade für diese Managementebene wichtig, den eigenen Erholungsbedarf zu erkennen, Prioritäten zu setzen und bewusst Zeit für sich selbst einzuräumen.  

Die Arbeitswelt ist insgesamt von mehr Flexibilität, aber auch von größeren Handlungsspielräumen und Freiheiten geprägt. Wir können nicht von einer generellen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch eine zunehmende Entgrenzung der Arbeitswelt ausgehen. Es gibt zwar durchaus Anzeichen für Arbeitsverdichtung und eine stärkere Durchdringung von Arbeitszeit und Freizeit, die oft als belastend wahrgenommen werden. Größere Flexibilität, Autonomie und anspruchsvolle Tätigkeiten können aber durchaus die Zufriedenheit bei der Arbeit verbessern. Geeignete Formen der Arbeitsorganisation, Führung und Anerkennung sind von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, Situationen der Überlastung durch eine in manchen Fällen zu weitgehende Entgrenzung oder Verfügbarkeit zu verhindern.


Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit im europäischen Vergleich


Die vorliegenden Daten für Deutschland, aber auch die Effekte einer flexibleren Arbeitswelt lassen sich mit dem European Working Conditions Survey (EWCS) europaweit vergleichen und durch weitere Analysen vertiefen. Dabei wird deutlich, dass die Arbeitsintensität in Deutschland ebenso wie in Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien und Luxemburg zwischen 1995 und 2010 zugenommen hat. Zugleich ist sie in Großbritannien, in den Niederlanden, Österreich und Portugal eher gesunken. In allen EU-15-Staaten nahm dabei die Arbeitszeitqualität in der subjektiven Wahrnehmung der Beschäftigten zu - wenn auch in Deutschland nur marginal.  

Arbeitszeitqualität beschreibt hier, inwieweit die eigene Arbeitszeit den Bedürfnissen nach einer Work-Life-Balance entspricht. Das umfasst neben der Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit auch die Anzahl der Überstunden, die Wochenend- und Nachtarbeit, die Souveränität der Beschäftigten hinsichtlich Beginn und Lage der Arbeitszeit und die Flexibilität, kurzfristig zwei Stunden freizunehmen, um dringende familiäre Dinge zu erledigen. Insgesamt lässt sich hinsichtlich der Qualität der Arbeitszeit eine Konvergenz in Europa beobachten.  

Was die vier Indikatoren zur Arbeitsqualität insgesamt angeht, schneidet Deutschland zwar hinsichtlich Bezahlung und Arbeitsplatzsicherheit überdurchschnittlich ab. Jedoch bleibt die Bundesrepublik bei der Arbeitszeitqualität unter dem Durchschnitt, und bei spezifischer Arbeitsqualität - also physische Beanspruchung, soziale Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen, qualitative Anforderungen und Autonomie - sogar im unteren Drittel im europäischen Vergleich. In Deutschland finden sich demzufolge vergleichsweise viele Jobs, die eine geringere Qualität in Bezug auf die Arbeitszeiten aufweisen (37,1 gegenüber 28,9 Prozent im europäischen Durchschnitt). Nur einige osteuropäische Staaten weisen noch höhere Anteile auf. Dennoch liegt der Anteil der schlecht bezahlten Jobs in Deutschland deutlich unter dem europäischen Durchschnitt und der Anteil sehr gut bezahlter Jobs leicht über dem Durchschnitt.


Land mit höheren psychosozialen Anforderungen


Deutschland gehört damit zu den Ländern mit höheren psychosozialen Anforderungen. Dazu zählen Jobs, die ein hohes Maß an Stress mit sich bringen, die als emotional belastend wahrgenommen werden - oder auch Jobs, in denen die Beschäftigten in Konflikt mit ihren persönlichen Werten geraten und Gefühle verbergen müssen. Physische Belastungen, wie das Heben schwerer Lasten, schmerzende Positionen, langes Stehen oder sich wiederholende Arm- und Handbewegungen sind in Deutschland eher unterdurchschnittlich ausgeprägt.  

Bei der Betrachtung von Länderdurchschnittswerten ist jedoch die Ausrichtung der Volkswirtschaft, also die Verteilung der Arbeitsplätze nach Branchen, nicht berücksichtigt. Im Gastgewerbe, in der Land- und Forstwirtschaft, in der Fischerei, im Baugewerbe und in privaten Haushalten sind die physischen Anforderungen aus Sicht der Beschäftigten am größten. Psychosoziale Arbeitsanforderungen werden vor allem im Bereich Bildung und Erziehung sowie im Gesundheits- und Sozialwesen wahrgenommen.  

Für die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt, aber auch für das einzelne Unternehmen wird die Frage der Arbeitsqualität vor allem dann relevant, wenn die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigt ist, krankheitsbedingte Ausfälle zu Produktivitätseinbußen oder geringe Arbeitszufriedenheit zu geringerer Effizienz und höherer Fluktuation führen. Das Wohlbefinden nach dem WHO-5-Index ist hierbei in Deutschland wie auch in anderen mitteleuropäischen und nordischen Ländern Europas als überdurchschnittlich einzuschätzen. Auch bei der Arbeitszufriedenheit - ein Indikator für das Wohlbefinden - schneidet Deutschland recht gut ab und rangiert im oberen Drittel im Vergleich der EU-27-Staaten. Längere krankheitsbedingte Fehlzeiten finden sich eher in den nordischen Ländern - in Deutschland sind es durchschnittlich sechs Tage im Jahr, was nahe am EU-Mittelwert von fünf Tagen im Jahr liegt.


Negative Auswirkungen auf die Gesundheit


Inwieweit wirken sich Anforderungen und Ressourcen am Arbeitsplatz auf wichtige individuelle Indikatoren wie Gesundheit, Arbeitszufriedenheit, Work-Life-Balance und Absentismus aus? Insgesamt zeigt sich hier ein eindeutiges Bild: Quantitative Anforderungen, vor allem Arbeitsintensität (Zeitdruck, Deadlines, Geschwindigkeit), physische Anforderungen sowie psychosoziale Anforderungen wirken sich negativ auf die subjektiv eingeschätzte Gesundheit aus.  

Die Zahl der krankheitsbedingten Fehltage hingegen sinkt dann, wenn es um die folgenden vier Faktoren gut bestellt ist: allgemeine Arbeitszufriedenheit als Teil der Arbeitsbedingungen, die Zufriedenheit mit Einkommen und Karrierechancen - was man unter extrinsischer Motivation kennt -, die empfundene Sinnhaftigkeit und Erfüllung im Job, also die intrinsische Motivation, sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, neudeutsch Work-Life-Balance. Höhere kognitive oder qualitative Anforderungen am Arbeitsplatz wiederum wirken leicht positiv auf die Gesundheit und Zufriedenheit mit der Arbeit. Dasselbe gilt für die Sicherheit, zu wissen, was bei der Arbeit zu tun ist.  

Diese Analysen zeigen aber auch, dass qualitative Unterforderung wie etwa das Ausüben monotoner Tätigkeiten negative Wirkungen hervorbringt. Die Arbeitsplatzgestaltung - und zwar nicht nur in technischen Hinsicht - bietet über die Anforderungen und die Art der Tätigkeit hinaus Chancen, negative Folgen beziehungsweise deren Umgang damit aufzufangen. Als sogenannte Ressourcen wurden hier die Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen und Führung sowie die wahrgenommene Arbeitsplatzsicherheit untersucht.  

Die Ergebnisse belegen: Beschäftigte mit mehr Handlungs- und Entscheidungsspielraum, gutem Management, guter Mitarbeiterführung und ausgewogenem Betriebsklima und einer hohen Arbeitsplatzsicherheit sind deutlich zufriedener mit ihrer Arbeit und ihrer Work-Life-Balance. Zwei Faktoren - die sozialen Beziehungen im Job und das Führungsverhalten - scheinen hier essenziell zu sein, denn sie wirken sich sogar auf die allgemeine Gesundheit und die Anzahl der Fehltage aus.  


Folge 4 erscheint in der kommenden Woche 



changeX 11.04.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

Werner Eichhorst
Eichhorst

Dr. Werner Eichhorst ist Direktor für Arbeitsmarktpolitik Europa am IZA - Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Er studierte Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie und Verwaltungswissenschaften und promovierte 1998 an der Universität Konstanz. Bis 2004 war er Projektleiter bei der Bertelsmann Stiftung, dann am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg tätig. 2005 kam er ans IZA, wo er von 2007 bis 2013 Stellvertretender Direktor Arbeitsmarktpolitik war. Er ist Mitglied der Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland" der Bertelsmann Stiftung.

Autorin

Verena Tobsch
Tobsch

Verena Tobsch ist Gründerin des Instituts für Empirische und Aktuelle Wirtschaftsforschung E·x·AKT in Berlin. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre war sie bis 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Personalwesen und Internationales Management der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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