Social Business und Social Entrepreneurship: Das sind die Begriffe, um die sich der Vision Summit 2008 dreht. Doch was genau bedeuten sie? Viele Kongressteilnehmer wussten das selbst nicht so genau. So war der Kongress auch Selbstentdeckung und Begriffsarbeit "in progress", ein Anlass zur Selbstvergewisserung und Standortbestimmung. Zwei Tage, vollgepackt mit Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden. Zwei Tage mit einer schwirrenden Vielfalt von Ideen, Projekten, Unternehmen, Initiativen, die alle für eine große Grenzüberschreitung stehen: die Überwindung der Trennlinie zwischen Ökonomie und Sozialem. Kurz gesagt: Der klassische sozial orientierte Unternehmer, der Gewinnmaximierung nicht als alleinigen Lebenszweck sieht, sondern zugleich das soziale Kapital mehrt, indem er in Beziehungen investiert oder Geld für soziale Zwecke abgibt - er hat Gesellschaft bekommen: Da sind soziale Entrepreneure, die nicht mehr warten wollen, bis jemand sich zuständigkeitshalber eines sozialen Problems annimmt, sondern mit kreativen und unkonventionellen Ideen selbst anpacken. Und da sind soziale Unternehmen, die mit ihren Produkten ganz konkret an der Lösung sozialer Missstände arbeiten. Damit ist das Feld freilich nicht übersichtlicher geworden. Systematisierung steht an.
Etwas Neues in die Welt bringen.
Ganz
zu Beginn, zur Eröffnung des Kongresses, stellt Günter Faltin,
Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin,
einige Definitionen in den Raum: Entrepreneurship bedeutet, mit
unternehmerischen Mitteln etwas Neues in die Welt bringen. Vom
klassischen Unternehmer unterscheidet sich der Entrepreneur also
durch die Innovation. Unternehmertum meint bei Faltin schlicht:
Mit einem Unternehmen Überschüsse erwirtschaften. Zum Social
Business wird ein Unternehmen dann, wenn die erwirtschafteten
Überschüsse an soziale Projekte gehen - oder wenn das Unternehmen
selbst einen sozialen Zweck hat und das erwirtschaftete Geld in
die eigenen sozialen Aktivitäten zurückfließt.
Beispielsweise Grameen Danone: Das von Muhammad Yunus und
Danone-Chef Franck Riboud gegründete Joint Venture stellt einen
mit Vitaminen und Mineralstoffen angereicherten Joghurt her, der
die Kinder in den Dörfern von Bangladesch vor Mangelernährung
bewahren soll. Überschüsse werden dazu verwendet, den Joghurt so
billig zu machen, dass ihn sich auch die Ärmsten leisten können.
Das Unternehmen Grameen ist ein Beispiel für eine
Wachstumsstrategie im Social Business: Es wurde von Yunus nicht
nur zu einer globalen Marke ausgebaut, sondern expandiert zudem
fortlaufend in neue Geschäftsfelder. Angefangen hat Grameen als
Bank der Armen. Die Vermittlung von Mikrokrediten an sie ist
heute noch das Kerngeschäft. 1996 folgte unter dem Label Grameen
Phone die Expansion in die Mobilfunksparte. Das Konzept: Frauen
in entlegenen Dörfern gründen mit ihrem mikrokreditfinanzierten
Mobiltelefon Ein-Frau-Telefonagenturen. Die neuesten
Geschäftsfelder: Ernährung und medizinische Diagnostik - Grameen
will ein neuartiges Ferndiagnosesystem entwickeln.
Grameen ist
das Urmodell, die Blaupause der von Yunus begründeten Idee des
Social Business: "Ein Sozialunternehmen ist ein Unternehmen, das
keine Dividenden ausschüttet. Es verdient mit dem Verkauf seiner
Produkte oder Dienstleistungen genug Geld, um seine Kosten zu
decken. Das in das Unternehmen investierte Kapital kann im Lauf
der Zeit an die Eigentümer zurückgezahlt werden, aber sie
erhalten keine Gewinnausschüttung in Form einer Dividende. Alle
Betriebsüberschüsse verbleiben im Unternehmen, um seine Expansion
zu finanzieren, neue Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln
und weiteren gesellschaftlichen Nutzen zu erzielen." (*)
Überhaupt Yunus. Er ist der Übervater, der Ideengeber, der
überall und ständig präsent ist. Auch als er noch gar nicht
anwesend ist, sondern im Flugzeug Richtung Berlin sitzt, ist er
der Star der Konferenz. Sein Charisma soll den Funken
überspringen lassen. Soll eine neue soziale Bewegung initiieren,
die zu einer gesellschaftsverändernden Kraft wird.
Sich ins Social Business vortasten.
So
faszinierend die Idee anmutet, ist sie noch alles andere als
klar. Wenn man genau hinschaut, sieht man: Auch in den Köpfen der
Veranstalter scheinen die Bereiche noch ineinanderzufließen.
Erkennbar wird das an den Personen, die sich den klatschenden
Zuschauern als "Social Entrepreneurs" vorstellen. Da ist Johanna
Richter, eine junge engagierte Universitätsabsolventin, die
mithilfe von Spendengeldern ein Kindergartenprojekt in Togo
aufbaut. Spendengelder? Ein Kindergartenprojekt? Ja, richtig.
Fragt sich nur: Wo ist das Neue an diesem Ansatz? Was macht
Richter zu einem Social Entrepreneur - in Abgrenzung zu anderen
"Social Activists", zu anderen privaten
Entwicklungshilfeprojekten?
Da ist Murat Vural. Der türkischstämmige Diplomingenieur
hat den Verein IBFS e. V. - Interkultureller Bildungs- und
Förderverein für Schüler und Studenten - gegründet. Er vermittelt
zwischen Schule, Eltern und Schülern und begleitet Kinder mit
Migrationshintergrund über Jahre hinweg mit Hausaufgabenhilfe,
Nachhilfe, Sprachförderung und Jugendarbeit. Ein lobenswertes
Projekt. Aber was unterscheidet es von den Projekten anderer
sozialer Vereine? Natürlich haben beide, Richter wie Vural, nicht
nur eine Idee gehabt, sondern auch den Mut und den Drive zur
Umsetzung. Wenn man das Neue, das sie in die Welt gebracht hat,
in den Mittelpunkt stellt, kann man zumindest Richter wohl als
Social Entrepreneur bezeichnen, meint Faltin. Bei Vural bleiben
ihm Zweifel. Ashoka dagegen, eine Organisation zur Unterstützung
von Social Entrepreneurship, hat gerade Vural zu einem ihrer
Förder-Entrepreneure erkoren.
Einer, der mit Sicherheit als sozialer Unternehmer
bezeichnet werden kann, ist der Psychotherapeut Friedrich
Kiesinger. Bei ihm ist es ein Zwitterdasein: Einerseits leitet er
die gewerbliche Pegasus GmbH Gesellschaft für
soziale/gesundheitliche Innovation, ein normaler Marktakteur im
gesundheitlichen Bereich, der sich bei Ausschreibungen gegen
andere Marktakteure durchsetzen muss. Dieses Social Business hat
sich aber aus der Lebenshilfeeinrichtung Albatros e. V.
entwickelt, die von Staatsgeldern lebt und in diesem Sinne also
unter die Kategorie Social Services fallen würde. Heute existiert
beides Seite an Seite. Kiesinger steht also mit dem einen,
älteren Bein noch in der "alten" Welt der sozialen
Organisationsweise, während er sich mit dem anderen Bein in eine
neue Struktur vorgetastet hat: Social Business.
Eine Frage der Haltung.
Doch ist die Frage:
Unternehmensgründung ja oder nein, wirklich das Entscheidende?
Einige betonen etwas anderes: die eigene Haltung nämlich. Oder,
wie Murat Vural sagt: "Bevor wir die Welt ändern, müssen wir uns
selbst ändern." Damit ist genau der Perspektivwechsel gemeint,
der als Begriff immer wieder durch die Säle des Henry-Ford-Baus
der Freien Universität Berlin schwirrt, in denen der Vision
Summit stattfindet. Es geht darum, sich selbst als Akteur zu
entdecken - statt auf Hilfe von außen zu warten. Oder den Job vom
Staat. Es geht darum, sich als möglichen Entrepreneur zu
begreifen, als jemand, der etwas unternehmen kann. Der nicht
wegschaut, wenn es um Not und soziale Missstände geht. Es geht
darum, richtig hinzusehen und zuzuhören - und im Austausch, im
Gespräch neue Ideen zu entwickeln. Es geht darum, das
"Charity-Modell" zu überwinden, das Menschen zum Objekt von
Hilfeleistungen macht - und so ihre Eigeninitiative lähmt. Es
geht darum, die anderen als Subjekte zu entdecken, die in eigener
Sache aktiv werden können. Kurz: Es geht um Empowerment. Oder,
mit Muhammad Yunus: Es geht darum, die Armen selbst zu
Unternehmern zu machen. Wie das mit Mikrokrediten so beispielhaft
gelingt.
Yunus' Mikrokreditmodell beruht auf diesem
Perspektivwechsel. Auch die Ärmsten der Armen sind nicht auf
Almosen angewiesen. Sie können sich selbst helfen, wenn man ihnen
die Chance gibt: in diesem Fall das Startkapital, um ihr eigenes
Geschäft zu begründen. Dafür reicht oft schon eine Handvoll
Dollar: ein Mikrokredit, den sie einsetzen, um damit wieder Geld
zu verdienen - und den Kredit samt Zinsen zurückzuzahlen. So wird
es der Grameen Bank möglich, das Geld einer weiteren
Kreditnehmerin zur Verfügung zu stellen, die damit wiederum
selbst zur Unternehmerin wird. Vurals Verein praktiziert auf
Beziehungsebene einen ähnlichen Ansatz: Da helfen ältere Schüler
oder Abiturienten, die selbst Hilfe erfahren hatten, jüngeren
Schülern. Studierende und Universitäten helfen wiederum den
Abiturienten - die ja die nächsten Studierenden sind. Und Firmen
helfen den Studenten, die ihre nächsten Beschäftigten sein
können. Jeder tritt also in eine Kette ein, in der er zunächst
Hilfe bekommt - dann aber im nächsten Schritt selbst zum Akteur
wird und anderen hilft.
Aufbruchstimmung.
Es herrscht Aufbruchstimmung auf den Fluren und in den Sälen; Tausende Gespräche werden geführt, die Menschen vernetzen sich. Im Foyer präsentieren sich zahlreiche Social Entrepreneurs, und auch im Publikum tummeln sich etliche sozial Bewegte. Wie Frank Fischer, der Evangele aus Hagen. Aktive aus dem Ausland sind da, wie Jasson Kalugendo, der mit seinem Projekt Empowerment Enterprises of Africa in Tansania ein Modell für die Transformation Afrikas begründen will. Es tut sich eine Menge. Wie viele Ideen in allen möglichen Stadien tatsächlich schon da sind, zeigt sich in Günter Faltins Workshop Idea refinement, in dem es um die Konkretisierung vorhandener Ideen geht. Der Strom der Menschen, die aufstehen, um ihre Idee vorzustellen, reißt gar nicht mehr ab. Über 50 Teilnehmer werden am Ende ihre Idee präsentiert haben. Manche davon sind noch sehr unkonkret, manche kommen etwas weltfremd daher, manche haben das Potenzial zur Verwirklichung. Da will einer Wertschätzung in Führungspositionen der Wirtschaftsunternehmen tragen. Da möchte ein anderer einen Thinktank für Herzensbildung ins Leben rufen. Ein dritter will Unternehmensideen ohne Gründerpersönlichkeit zusammenbringen mit Gründern, denen die Idee fehlt. Einer plant, unternehmerische Insolvenzen juristisch und psychologisch durch die schwierige Phase zu begleiten. Wieder ein anderer möchte eine Stiftung Informationstest gründen, die als Dienstleistung Informationen auf ihre Stichhaltigkeit prüft. Beispielhaft diskutiert wird die Idee, Bibliotheken wiederzubeleben und Pensionäre dafür zu gewinnen, Kindern dort Märchen zu erzählen - ein guter Vorschlag, so die Meinung, aber es fehlt das Geschäftsmodell. Konkreter ist da schon der Vorschlag, einen Non-Profit-Inkubator, eine Entwicklungsberatung für Entrepreneure aufzusetzen. Aus dem Publikum kommt die Bitte, die Ideen zu vernetzen. Dafür wird schnell ein Schwarzes Brett im Foyer bereitgestellt. Derweil stellt Faltin Techniken vor, die den Weg von der Idee zum tragfähigen Konzept unterstützen sollen. Sein heißer Tipp: "Überlegen Sie sich, wie Sie aus der Arbeit eine Party machen." Nicht zuletzt gehe es darum, die "Sichtachse" zu erweitern und sich für neue Perspektiven zu öffnen. Wer profitiert von der Idee, an welche bestehenden Organisationen kann man andocken, wen zum strategischen Partner machen? Wie sieht die Zukunft in diesem Bereich aus? Der FU-Professor ist überzeugt: Man darf die Ökonomie nicht länger den Ökonomen überlassen. Er meint: Mit Köpfchen kann heute jeder Unternehmer werden. Dazu braucht man gar nicht so sehr Geld. Dazu braucht man vor allem Ideen, Partner und das Wissen, wo und wie man an das nötige Know-how kommt. So werde eine neue Ökonomie möglich: effizient, aber nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet.
Wachsen in Richtung Menschlichkeit.
Doch wie findet man seine Idee?
Dieser Frage widmet sich ein Workshop, den Hans Reitz, CEO der
Agentur circ und seit Kurzem Kreativberater von Muhammad Yunus,
anbietet. Und da ist es wieder, das Self-Empowerment des
Individuums als verantwortliches Gemeinschaftswesen. Als jemand,
der nicht wegsieht, wenn Not herrscht oder Ungerechtigkeit. "Was
konkret ist der größte soziale Missstand, die größte
Ungerechtigkeit im nächsten Umkreis? Wo ist Not?", fragt Reitz
ins Auditorium. Das gelte es zu identifizieren. Und zu
analysieren - als Business. Wie die Sache mit den Schuhen, von
der der Kreativmann erzählt: Viele Menschen in armen Ländern
können die Unterstützung des Staates gar nicht in Anspruch
nehmen, ganz einfach, weil sie barfuß die Schwelle der Amtsstube
nicht überschreiten dürfen. Deshalb arbeitet Reitz an einem
Schuh, der weniger als einen Dollar je Paar kosten - und den
Menschen ihre Würde wiedergeben soll. Darum geht es ganz
entscheidend: die Würde des Menschen, aus eigener Kraft handeln
zu können. Ein Amt zu betreten. Vom Bettler zum
Haus-zu-Haus-Verkäufer zu werden. Mit ein paar Dollar und einer
gebrauchten Nähmaschine vielleicht ein eigenes Mikrogeschäft zu
eröffnen. Anerkannt zu sein, weil man etwas bietet, was den
anderen in ihrem Alltag hilft. Damit man sich nicht bettelnd
erniedrigen muss, um zu überleben. Wie das den Menschen ihre
Würde zurückgibt, hat der Fotograf Roger Richter in seinen
Lichtbildern von Mikropreneuren in Bangladesch eingefangen: den
unauslöschlichen Stolz, ein Mensch zu sein. Als großes Symbol
hängen seine Bilder am zweiten Kongresstag im Rund über dem Forum
in Henry-Ford-Bau.
Dieser zweite Tag, es ist der Tag von Muhammad Yunus, dem
Friedensnobelpreisträger. Er prägt ihn, bescheiden, aber doch mit
einer unausweichlichen Präsenz. Die Menschen hängen an seinen
Lippen. Er reißt das mit annähernd 800 Menschen voll besetzte
Audimax zu minutenlangem, stehendem Applaus hin. Denn Yunus hat
eine Vision, er hat eine Antwort auf den kalten Kapitalismus
unserer Tage, eine Antwort auf das Ende des alten ökonomischen
Paradigmas, auf den Tod des Homo oeconomicus. Yunus' Antwort ist
einfach, verständlich, eingängig: "Der Mensch ist ein
mehrdimensionales Wesen", sagt er. Ist nicht der eindimensionale
Charakter, als den ihn die ökonomische Lehre entworfen hat. Neben
seinen selbstsüchtigen Teil tritt sein selbstloses Wesen. Das
Eigeninteresse ist nur ein Teil des Ich, die Selbstlosigkeit der
andere. Das ist die einfache Wahrheit, der Paradigmenwechsel, den
er bietet - der längst nicht nur auf die Ökonomie beschränkt
bleibt, auch wenn ihre Krise, die Monstrosität ihres Konstrukts,
den Zusammenbruch des alten Paradigmas ausgelöst hat. Überall
entdecken Menschen und Organisationen heute den vergessenen, den
vernachlässigten, den verschütteten Zug menschlichen Wesens.
Diese Entdeckung einer neuen Perspektive, das gemeinsame Erleben
einer neuen Gemeinsamkeit ist es wohl, das die Stimmung des
Vision Summit prägt. Man spürt sich als Teil eines größeren
Ganzen, als Weltbürger, dessen Verantwortung auch die ganze Welt
umgreift. Eine Welt, in der die Dinge zusammenhängen, aufeinander
bezogen sind, statt mit kühlem Verstand voneinander geschieden zu
werden. Oder wie Hans Reitz es formuliert: Eine Welt, in der "der
eine Teil leidet, damit der andere seinen Weg findet: wachsen in
Richtung Menschlichkeit."
Auf dem Weg zur sozialen Bewegung?
Wird es
gelingen, diesen Schwung, diese Aufbruchstimmung zu bewahren und
weiterzutragen? Peter Spiegel, der Leiter des Genisis-Instituts,
meint Ja. Seine Vision: Social Entrepreneurship zu einer neuen
sozialen Bewegung zur formen, die ähnlich wie die Antiatomkraft-
und die Ökologiebewegung des späten letzten Jahrhunderts zur
gesellschaftsverändernden Kraft wird. "Das ist heute die Chance",
sagt Günter Faltin, "Entrepreneurship ist ein Mittel, eine
bessere Welt zu schaffen." Diese Chance will man nicht
verstreichen lassen.
Noch aber steckt alles in den Kinderschuhen. Claudia
Langer von Utopia, einem Internetportal für strategischen Konsum
und nachhaltigen Lebensstil, sieht sich und ihre Kompagnons als
Vorreiter in unbekanntes Territorium. Es sei noch schwer, sagt
sie, sich in Deutschland zu etablieren. Denn, und da ist sie
wieder, die Begriffsgeschichte: "Die Kategorie Social Business
gibt es hier noch gar nicht." Geldgeber zu finden sei daher ein
Problem. An dem Geldproblem knapsen viele Social Entrepreneurs
herum. 50 Prozent der Zeit vieler von ihnen ginge momentan für
Fundraising drauf - das sei viel zu viel, schildert Mirjam
Schöning von der Schwab Foundation for Social Entrepreneurship
das Problem. Deshalb ein heißes Thema auf dem Gipfel: "social
venture capital funds". Die Grundfrage: Wie verbindet man
Finanzanlage und soziales Engagement, wie bringt man Investoren
und Sozialunternehmen zusammen? Celso Grecco hat genau dies
geschafft: in São Paulo hat er eine Sozialbörse etabliert. In
Deutschland gibt es das noch nicht. Aber es gibt die ersten
Social Investment Funds. Und es gibt mit betterplace.org eine
Internetplattform, auf der jeder Social Entrepreneur sein Projekt
vorstellen und Geldgeber für sich anwerben kann. Als Nächstes
will betterplace auch Mikrokredite auf seine Plattform aufnehmen
und erste Schritte in Richtung Sozialbörse tun. Mikrokredite auch
in Deutschland zum Thema zu machen hat sich auch die Initiative
zur Gründung eines Berliner Ablegers der Grameen Bank auf die
Fahnen geschrieben. Auch Beratung für Social Entrepreneurs ist im
Entstehen. Die Agentur stratum zum Beispiel oder Thomas Leppert
von dem Unternehmen socialstartup. Sein Anliegen: "Wir wollen
das, was wir in der Wirtschaft gelernt haben, nun für soziale
Zwecke nutzbar machen."
Das alles sind Ansätze, die sich verdichten, vernetzen.
Nicht zuletzt legen die Organisatoren des Kongresses so richtig
los. Im August erst haben sie das Genisis-Institut aus der Taufe
gehoben, zwischenzeitlich den Kongress organisiert und wollen nun
mit Nachdruck weitermachen. In Berlin entsteht in einer
Kooperation mit der Freien Universität das weltweit erste Grameen
Creative Lab, das im Gründerzentrum von Professor Faltin
angesiedelt sein wird. Und die Termine für die nächsten Kongresse
stehen bereits: 2009 kurz vor den Feierlichkeiten zum 20.
Jahrestag des Mauerfalls, gedacht als symbolträchtiges Beispiel
dafür, was soziale Bewegungen erreichen können. Und 2010 soll
dann im Rahmen der Fußball-WM in Südafrika, exakt zwischen
Halbfinale und Finale, der Ein-Dollar-Schuh vorgestellt werden.
Hier ist eben alles in Bewegung. Aber die "Guidance", die
klare Leitlinie auf dem Weg zum Social Business, die ein Mann aus
dem Publikum sich wünscht, gibt es am Ende nicht. Aber braucht es
die überhaupt? Vielleicht ist es gar nicht sinnvoll, Social
Entrepreneurship in ein allzu enges begriffliches Korsett zwingen
zu wollen. Vielleicht macht gerade die Vielfalt Sinn. Eben hierin
lag die Stärke der neuen sozialen Bewegungen des späten 20.
Jahrhunderts: Dass sie einem breiten Spektrum von Menschen mit
unterschiedlicher weltanschaulicher Orientierung und
differierenden Vorstellungen über den richtigen Weg zum Ziel das
Mitmachen ermöglicht haben.
Winfried Kretschmer ist leitender Redakteur und Geschäftsführer bei changeX. Annegret Nill ist Journalistin in Berlin und schreibt als freie Autorin für changeX.
Fotos: Roger Richter photography, Mainz-Kastel.
www.visionsummit.net
www.genisis-institute.org
(*) Muhammad Yunus:
Die Armut besiegen. Das Programm des
Friedensnobelpreisträgers.
Carl Hanser Verlag, München 2008, Seite XIV f.
© changeX [06.11.2008] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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