Exoten braucht die Wirtschaft

Ein Interview mit Hans-Jürgen Puhle über die Zukunft von Career Centern.

Von Heike Littger

Unternehmen suchen Nachwuchs. Doch sie finden ihn nicht. Deswegen wollen sie enger mit den Universitäten zusammenarbeiten. So genannte Career Centers sollen helfen, die Studiengänge praxisorientierter zu gestalten und die Studenten besser auf das Arbeitsleben vorzubereiten. Auch Hans-Jürgen Puhle fordert den Ausbau der Vermittlungsagenturen, doch nicht im alleinigen Sinne der Wirtschaft: "Die freie akademische Lehre bleibt unantastbar."

Hans-Jürgen Puhle, Professor für Politikwissenschaft, leitet seit 1990 das Zentrum für Nordamerika-Forschung (ZENAF) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main und arbeitet seit vier Jahren als Juror im Transatlantischen Ideenwettbewerb USable der Körber-Stiftung. Ein wichtiges Thema: Career Center - Schnittstelle zwischen Hochschulbildung und Berufsfähigkeit.

Herr Puhle, ohne Praxiserfahrung und ohne Kontakt zu potentiellen Arbeitgebern werden deutsche Hochschulabsolventen aus den Universitäten entlassen. Career Center könnten, so Ihre Meinung, Abhilfe schaffen und den Studenten mit Vorträgen, Workshops und der Vermittlung von Praxiskontakten frühzeitig Orientierung rund um das Berufsleben bieten. Etwas optimistisch, nicht? Deutschlands Professoren sperren sich nach wie vor gegen eine verstärkte Praxisorientierung der Universitäten. Auch wenn sie von vielen Seiten gefordert wird und andere Länder wie beispielsweise Großbritannien und die Niederlande damit positive Erfahrungen gesammelt haben.
Die Berührungsängste zwischen Wissenschaft und Praxis sind in Deutschland besonders hoch. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum Deutschland bislang nicht reagiert und die Career Center, die es im Ansatz an etlichen Universitäten ja schon gibt, nicht gefördert hat. Zum Beispiel konnten die deutschen Hochschulabsolventen bis vor wenigen Jahren noch relativ sicher sein, dass sie nach ihrem Studium einen Job finden und dort auch ein Leben lang bleiben konnten - sei es in der Wirtschaft, in den traditionellen freien Berufen oder beim Staat, auf dessen Bedürfnisse hin sie im großen Maßstab ausgebildet wurden. Doch das Blatt hat sich gewendet. Kaum noch jemand bestreitet, dass die rasanten Veränderungen der Arbeitswelt in den letzten Jahren die tradierten Muster der Ausbildung und Berufsorientierung aufgebrochen und das Verhältnis von Hochschulbildung und Berufsfähigkeit neu problematisiert haben.

Was sind die neuen Herausforderungen, denen sich Studierende stellen müssen?
"Lifelong learning" ist wohl das Schlüsselwort schlechthin. Und zwar gilt das nicht nur für die Studenten, sondern auch für die Professoren. Sie müssen sich der Frage stellen: Was brauchen meine Studenten, um sich auf dem freien Markt behaupten zu können. Sie müssen die Werdegänge ihrer Absolventen verfolgen und die Lehrinhalte immer wieder überprüfen und anpassen. Das kann natürlich nicht jeder einzelne Professor leisten. Sondern wir brauchen dafür eine funktionierende Organisation, die die Erfahrungen sammelt, auswertet und die Ergebnisse auf die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen rückkoppelt. Career Center wären dafür bestens geeignet.
Doch Vorsicht: Es geht nicht darum, dass sich die Wissenschaften ganz und gar der Praxis verschreiben und jeder Mode hinterherhecheln. Das wäre ja auch absurd. Wir wollen die Arbeitsmarktfähigkeit der Studenten fördern und sie nicht für Tätigkeiten ausbilden, die in wenigen Jahren vielleicht wieder verschwunden sind. Es geht auch nicht darum, ein Schmalspur-Studium zu entwickeln. Es geht einzig und allein darum, Vermittlungsagenturen zu schaffen, die die Hochschulausbildung zur relevanten Außenwelt in Beziehung setzen.

Career Center stehen aber - so ist es zumindest angedacht - nicht nur Studierenden offen. Sie kümmern sich auch um Schüler der Sekundarstufe, also um die Klassen 12 bis 13, um ihnen frühzeitig Orientierung zu bieten.
Richtig. "Career guidance" darf sich nicht auf Hochschüler beschränken. Sie muss auch Schüler vor dem Abitur, aber auch die zunehmende Zahl der Wiedereinsteiger und Rückkehrer aus dem Berufsleben beraten, die sich weiterbilden wollen. Andererseits müssen wir eine angemessene Balance zwischen Informations- und Beratungsangeboten sowie den autonomen Entscheidungsräumen der Interessenten finden, damit "lifelong counseling" nicht in lähmendes Babysitting ausartet.

In den USA ist es normal, alle zwei bis drei Jahre die Anstellung oder den Beruf zu wechseln. Deswegen ist die Erwartungshaltung gegenüber den Universitäten auch eine andere. Die Universitäten sollen neben den genuin fachlichen Kompetenzen so genannte Schlüsselqualifikationen vermitteln, die "key skills", die man heute braucht, um sich immer wieder auf neue Anforderungen im Beruf erfolgreich einzustellen.
In den USA wurde die uralte Frage bereits eindeutig beantwortet: Dient Bildung der Persönlichkeitsentwicklung, der geist- und kulturerfüllten Muße jenseits von Geschäft und Arbeit oder hat Bildung auf das Berufsleben vorzubereiten, auf die Arbeit im Beschäftigungssystem. Employability ist dort das primäre Ziel. Hinzu kommt, dass Universitäten um ihre Studierenden kämpfen müssen, es sind ihre Kunden. Deswegen entscheiden nicht nur die Kompetenz der Professoren, sondern auch die Qualität der Studienberatung über unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg. Je besser der Career Service die Studierenden unterstützt, desto besser sind die Berufschancen der Absolventen und desto besser ist auch das Image der Schule.
Auch bei uns wird die hochschulpolitische Diskussion erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Career Centern haben. Sie wird letztlich darüber entscheiden, wie die Center im Einzelnen aussehen werden. Denn je mehr Corporate Identity und Unabhängigkeit eine Hochschule entwickeln kann, umso mehr wird sie daran interessiert sein, auch das Career Center ganz in eigener Regie und als attraktiven Service für ihre Studenten zu betreiben.

Wie Sie bereits sagten, gibt es an etlichen deutschen Universitäten Career Center, oder sagen wir besser Vorläufer davon. Zum Beispiel das "Forum Studium und Beruf" in Bamberg, die "Arbeitsstelle Studium und Beruf" in Hamburg oder "Student und Arbeitsmarkt" in München. Alles hoch motivierte Projekte, doch in der Regel ohne nennenswerten Erfolg. Was muss passieren, damit die Center besser arbeiten können?
Mal abgesehen von den Vorzeige-Modellen in Münster und Hannover laufen viele Center immer noch als Projekte, hängen in der Luft, verfügen über keine ausreichende institutionelle Verankerung und sind auf die Zuweisung so genannter Sondermittel angewiesen. Die Unterstützung und der klare Auftrag von Seiten der Hochschulleitung, um sowohl nach innen als auch nach außen entsprechend auftreten zu können, werden ihnen vielfach verwehrt. Doch ohne diesen institutionellen Rückhalt und die notwendige Basisfinanzierung wird es nicht funktionieren. Die Vertreter von Career Centern müssen ernst genommen und in Gremien und Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden. Dazu brauchen sie nicht nur die Unterstützung der Hochschulen, sondern auch die Unterstützung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Niederlande sind in Sachen Career Center wesentlich weiter. Dort diskutierte man Anfang der 90er Jahre über Sinn und Unsinn solcher Einrichtungen. Auch dort befürchteten Kritiker, dass die Career Center die Studierenden beeinflussen könnten, nur noch wirtschaftlichen Erfolg versprechende Studienfächer zu belegen. Vor allem die Position der geistes- und sozialwissenschaftlichen Studienfächer schien ihnen gefährdet. Trotzdem haben sich die Center durchgesetzt.
Die Holländer haben die Vorteile und die Zeichen der Zeit klar erkannt. Studierende können sich nicht nur mit Fachwissen voll stopfen, sie müssen sich selbst kennen und wissen, was sie wollen, um zügig zum Ziel zu kommen. Doch dafür müssen sie das Angebot und die oft verschachtelte Struktur ihrer Universität kennen - und dazu benötigen sie Hilfe. Außerdem fördert Career Advising die Auswahl der Fächer nach Neigung. Unternehmen haben kein Problem mit Geistes- und Sozialwissenschaftlern. Sie haben nur ein Problem, wenn die Studierenden nicht wissen, was ihre persönlichen Qualitäten sind und wie sie sie im Unternehmen einbringen können. Universitäten müssen also ihre Studierenden lehren, sich selbst zu vertrauen und die eigene Zukunft zu gestalten - dann kann jeder das studieren, das seinen Neigungen entspricht. Die freie akademische Bildung wird also durch Career Center nicht gefährdet, sondern eher geschützt.

Auf der Tagung "Hochschulbildung und Berufsfähigkeit" der Körber-Stiftung im vergangenen Jahr wurde diese Position noch radikaler formuliert: Demnach kann es durchaus Sinn machen, ein Studium bewusst berufsfern zu halten. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil wir gar nicht wissen, wie Arbeitsplätze in zehn Jahren aussehen werden. Für Studenten der Orchideenfächer eine gute Nachricht.
Klassische Karrierewege werden immer seltener, Berufsbilder immer unschärfer. Positiv gewendet bedeutet dies, dass der Arbeitsmarkt Hochschulabsolventen mehr Möglichkeiten bietet als je zuvor. Diese muss man jedoch entdecken. Und das gilt insbesondere für die Orchideenfächer. Ethnologie, Indologie oder Altamerikanistik dürfen nicht auf der Strecke bleiben. Im Gegenteil: Sie müssen kultiviert werden. Doch die Fachbereiche müssen raus aus ihrem Elfenbeinturm, müssen das Selbstbewusstsein ihrer "Exoten" stärken und ihnen konkrete Qualifikationen für die Arbeitswelt sowie Einblicke in die Berufspraxis anbieten.

Unternehmen machen sich Sorgen, ob sie in den nächsten Jahren genügend Spitzenkräfte für sich gewinnen können. Die bewährten Rekrutierungsstrategien scheinen nicht mehr auszureichen. Deswegen wollen Unternehmen neue Wege gehen und frühzeitig Kontakt zu Studierenden aufbauen. Inwieweit forcieren sie die Entwicklung von Career Centern. Wo liegen Möglichkeiten und wo liegen Grenzen innerhalb der Zusammenarbeit?
Ohne Engagement kein Resultat. Wenn Unternehmen die Verknüpfung von Hochschulausbildung und Berufsfähigkeit verbessern wollen, müssen sie sich stärker einbringen. Sie müssten Führungskräfte freistellen und deren Engagement auch innerbetrieblich honorieren. Sie müssten den Hochschulen deutlichere, unmissverständliche und klare Signale geben. Sie müssen den quantitativen aber auch den qualitativen Bedarf transparent machen. Und sich dazu äußern, welche Fähigkeiten, Soft und Hard Skills, die Absolventen mitbringen müssen. Hier fehlt es noch an Kohärenz, Konsistenz und gelegentlich Ehrlichkeit. Des Weiteren fehlt es an Praktikumsstellen und der Bereitschaft, empirische Diplomprojekte zu fördern - nach wie vor das beste Instrument, um einen Einblick in die Arbeitswelt zu gewinnen.
Leider missverstehen Unternehmen Hochschulen oft als verlängerte Werkbank, als Handlanger und Reparaturbetrieb der Wirtschaft. Die Hewlett Foundation hat der Stanford University vor kurzem 400 Millionen Dollar geschenkt - und zwar für die School of Humanities and Sciences und für "undergraduate education". In Deutschland investieren Unternehmen hingegen in kleine private Hochschulen oder suchen ausschließlich Kontakt zu den Fachbereichen Business und Informatik. Das ist der falsche Ansatz. Das Profil von Universitäten muss insgesamt gestärkt werden. Außerdem: Career Center sind keine Rekrutierungsmessen, auf denen sich immer die gleichen Unternehmen präsentieren. Und sie wollen die Menschen auch nicht in eine bestimmte, vermeintlich erfolgreiche Richtung drängen. Career Center haben drei Adressaten im Blick: Die Studierenden, um sie auf ihrem Weg vom Studium in den Beruf zu begleiten - und sie je nach individueller Neigung zu fördern. Die Unternehmen, um ihnen bei ihrer Suche nach kompetenten Nachwuchskräften zu helfen. Und die Fachbereiche und Disziplinen, die sie bei ihrer permanenten Neuorientierung tatkräftig unterstützen.

Heike Littger ist Redakteurin bei changeX.

Hans-Jürgen Puhle / Hans N. Weiler:
Career Centers.
Eine hochschulpolitische Herausforderung.

Edition Körber Stiftung, Hamburg 2002
169 Seiten, 15 Euro
ISBN 3-89684-035-5
www.koerber-stiftung.de

© changeX [28.10.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Career Centers. . Eine hochschulpolitische Herausforderung.. Edition Körber Stiftung, Hamburg 1900, 169 Seiten, ISBN 3-89684-035-5

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Autorin

Heike Littger
Littger

Heike Littger ist selbständige Journalistin und wohnt in Mountain View, Kalifornien. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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