Asketisch zum Erfolg
Ein Interview mit Dieter Brandes über den Weg zum Wesentlichen.
ALDI boomt. Nicht nur wegen der Schnäppchenpreise. Sondern, weil die Kette sich über Jahrzehnte hinweg eine hohe Glaubwürdigkeit bei den Kunden erarbeitet hat und im Management das Prinzip Bodenhaftung gilt. In welcher anderen Führungsetage werden schon Werte wie Sinn und Bescheidenheit gelebt?
Diplom-Kaufmann Dieter Brandes war lange Geschäftsführer von ALDI und ist heute Berater für Strategie und Organisation. Seine Bücher Konsequent einfach und Einfach managen über die Geschäftsphilosophie von ALDI und die Lehren daraus wurden zu Bestsellern. Jetzt ist von ihm im Campus Verlag das Buch Die 11 Geheimnisse des ALDI-Erfolgs erschienen.
Schon seit Jahren predigen Sie den Verzicht auf Überflüssiges,
die Rückkehr zur Einfachheit und den Weg zum Wesentlichen. Ist
die Botschaft inzwischen angekommen - mit etwas Nachhilfe durch
die Krise?
Ich habe festgestellt, dass die Botschaft immer mehr
interessiert. Die Krise hilft - sie rückt Tugenden und
Selbstverständlichkeiten in den Mittelpunkt. Fragen nach Sinn
werden notwendig, wenn man sparen will. Manche Unternehmen
erkennen, dass es mit Entlassungen nicht getan ist. Erfolgreiche
"Verzichter" sind für mich Ikea, ALDI, Dell, Google und Ryan.
Doch die Erfolgreichen sind nicht nur Discounter. Die
Erfolgreichen zeichnen sich aus durch Klarheit und Konsequenz.
Sie stellen das Wesentliche in den Mittelpunkt und verzichten auf
das Unwesentliche. Gute Beispiele dafür sind für mich Porsche,
Toyota und Ferrero. Aber auch die exklusiven, wirklich guten
Restaurants mit ihrer kleinen besonderen Speisekarte.
Sicher spielt auch die Glaubwürdigkeit eine große Rolle. ALDI
hat geschafft, sie sich bei den Kunden durch seine Philosophie zu
erarbeiten.
Wieder etwas, das in der Krise wichtiger wird. Immer wieder
aber gibt es überall Versuche, mit Oberflächlichkeit und Tricks
erfolgreich zu sein. Fondsmanager haben über viele Jahre einen
lausigen Job gemacht; jetzt kriegen sie die Quittung, weil sie
nicht in der Lage waren, Vertrauen aufzubauen. Aber immer mehr
Unternehmen erkennen, dass Vertrauen die Leistung der Zukunft
wird.
Normalerweise erreicht man Glaubwürdigkeit durch Offenheit.
ALDI glänzt dagegen eher durch Geheimnistuerei. Ist das Handicap
oder sogar wichtige Zutat zum Mythos?
Glaubwürdigkeit gewinnt man durch Ehrlichkeit und
Verlässlichkeit. Indem man Vertrauen nicht enttäuscht, sondern
immer wieder bestätigt. Worte und Sprüche bewirken das nicht, wie
so manches Unternehmen feststellen musste. Allerdings würde ich
die Strategie von ALDI nicht Geheimnistuerei nennen. Man redet
eben nicht so viel. Wieso sollte man auch? Wird ALDI
glaubwürdiger, wenn sie sagen, was der Pro-Kopf-Umsatz pro
Verkäufer ist oder das Inventurergebnis? Natürlich wird ein
Mythos eher durch solche Verschwiegenheit begründet. Auch wenn
das niemals die Absicht der Albrechts war.
Nach all den Skandalen um skrupellos abkassierende Manager
wirkt es besonders sympathisch, dass im ALDI-Management das
Prinzip Bodenhaftung gilt, dass Luxus und Machtkonzentration in
den Händen weniger verpönt sind.
Das passt zur Unternehmenskultur, zu Werten wie Sinn und
Bescheidenheit. ALDI ist geprägt von den inneren Einstellungen
der Gründer. Man kann an seiner eigenen inneren Zurückhaltung und
Askese auch so etwas wie eine "klammheimliche Freude" entwickeln.
Wichtig ist aber immer: Vermeidung von Macht in den Händen
weniger. Dezentralisation und klare Kompetenzverteilung durch
Stellenbeschreibungen haben verhindert, dass jemand versuchen
konnte, Entscheidungen und Kompetenzen an sich zu ziehen. Darauf
wurde streng geachtet.
Wie kamen sie selbst als ALDI-Manager mit dieser Philosophie
zurecht?
Ich habe es als sehr angenehm empfunden, so zu arbeiten.
Vor allem, dass Klarheit herrscht - klare Verantwortungen und
Zuständigkeiten, und dass sie nicht ständig geändert werden. Es
war schon ein Stück Kulturschock, zu einem anderen Unternehmen zu
wechseln. Es war ein drastischer Gegensatz und ich fand es
einfach schrecklich, wie es im anderen Unternehmen zuging. Meine
Bücher sind aus dem Motiv heraus entstanden, zu erklären, wie es
auch anders geht.
Auf dem Weg zum Wesentlichen kann man, so schreiben Sie,
Jahresplanungen, Controlling und all das ruhig am Wegesrand
zurücklassen. Könnte das sogar die Einsparungen bringen, die
Konzerne zur Zeit zu erreichen versuchen? Tolle Präsentationen
zusammenstellen und Planungsmarathons gehören zu den
Hauptbeschäftigungen des Managements.
Genau so ist es. Monatelang beschäftigen sich die Manager
bequem in ihren Sesseln mit Controlling und Budgetierung und
glauben, das Unternehmen bestehe aus Zahlen. Vielen macht das
Spaß. Und es ist oft unbewusst eine Flucht aus der Wirklichkeit,
weg von der Front, wo die Musik spielt und vielleicht Probleme
und Konflikte lauern. Peter Drucker behauptet übrigens, dass
Manager heute weniger informiert sind als vor 30 Jahren. Gerade
wegen der Computer. Sie wissen immer weniger vom Kunden.
Stattdessen spielen sie gern mit CRM-Daten und phantasieren sich
ihre Budget-Zukunft zusammen.
Aber nicht allen Managern gefällt die Situation. Sonst wäre
die Resonanz auf Ihre Bücher nicht so groß. Welche Reaktionen
bekommen Sie mit?
Oft spüre ich ein Aufatmen, dass so etwas gesagt wird. Ich
habe den Eindruck, dass viele Manager sich mehr Einfachheit und
Klarheit wünschen. Aber es kommen auch Gegenargumente: So geht es
bei uns im Unternehmen nicht. Es ist eben nicht alles so einfach
wie bei ALDI. Solche Sätze entstammen einem Bedürfnis heraus, zu
erklären, warum man es noch nicht so angepackt hat. Denn die
Prinzipien von ALDI lassen sich überall anwenden.
Auch wenn die Unternehmenskultur völlig anders ist?
Auch dann kann man bei sich selbst und in seinem eigenen
Bereich anfangen. Anders mit den Mitarbeitern umgehen, nicht so,
wie das Topmanagement mit einem selbst umgeht. Klare Ziele
vorgeben.
Mehr als eine starke Unternehmenskultur braucht es nicht, um
ein Unternehmen auf die richtige Spur zu bringen, ist Ihre These.
Dann organisiert sich der Rest von selbst, aufwendige
Koordinations- und Kontrollsysteme sind unnötig. Kann das
wirklich funktionieren? Und welche Funktion haben dann noch die
Vorgesetzten?
Neben (oder innerhalb) der passenden Unternehmenskultur
braucht es klare Ziele und deren konsequente Verfolgung. Das ist
auch kein einmaliger Akt, sondern eine Handlung, die täglich neu
beginnen kann. Vorgesetzte müssen darauf achten, dass die
Unternehmenskulturen gepflegt werden. Sie müssen für klare Ziele
sorgen und sie kontrollieren. Sie müssen die wichtigen Positionen
mit den richtigen Leuten besetzen und für ein Arbeitsumfeld
sorgen, das Motivation ermöglicht. Wenn sie dann noch Langeweile
haben, können sie selber auch eine eigene Fachaufgabe übernehmen
(zum Beispiel Key Accounter sein).
Kontrollsysteme sind unbedingt notwendig. Allerdings muss
dem zunächst eine Kultur des Vertrauens zugrunde liegen. Auf
Koordination kann dagegen in dem Maße verzichtet werden, in dem
Autonomie, Dezentralisation, Delegation mit klaren Zielen und
Rahmenregelungen verbunden sind.
Die Führungskräfte sollten, so der ALDI-Gedanke, in den
eigenen Läden einkaufen - das ist besser als jede Marktforschung.
Ein Tipp, den auch andere Unternehmen beherzigen sollten?
Natürlich. Wenn Herr Mehdorn sich mal an seine eigenen
Schalter (Verzeihung: Counter) stellte, würde er verstehen, was
das Problem des neuen Preissystems ist. Er und seine Optimierer
könnten begreifen, dass die Komplexität geringer wäre bei zwei
statt drei Rabattstufen für die Vorausbuchungen, sie würden
vielleicht auch verstehen, dass die Bahn keine teuren Sanktionen
zur Vermeidung so genannter Luftbuchungen böser Kunden bräuchte.
Ich habe kürzlich an den Countern einen Zeitbedarf von 13 Minuten
pro Kunde errechnet.
Sehr wichtig ist, dass die Chefs ihre eigenen Unternehmen,
deren Umfeld und die Kunden begreifen. Dass sie die Augen offen
halten für das, was andere wirklich machen: Branchen, Länder,
Lieferanten, Mitarbeiter, Mitbewerber - Menschen
überhaupt.
Welche Vorteile hat ALDI davon gehabt, dass es Beratern und
Managementmoden aus dem Weg gegangen ist? Glauben Sie, dass das
inzwischen auch für andere Unternehmen attraktiv wäre?
Ein Vorteil war, dass sie selber überlegen mussten. Sie
haben selbst Verantwortung gesucht und getragen und diese nicht
auf Alibiberater delegiert. Meine persönliche Erfahrung in vielen
Betrieben: Das notwendige Know-how ist meistens vorhanden.
Berater sind nützlich, um einen ersten Anstoß zu erhalten. Damit
einem mal jemand wie der Hofnarr die Wahrheit sagt. Aber das
machen Berater vielfach nicht.
Mit den Methoden ist es ähnlich: Die meisten Methoden sind
seit 100 Jahren, manchmal seit 2.000 Jahren bekannt. Schon Seneca
hat gesagt: "Wer anderen nützt, nützt sich selber." CRM? Das sind
doch alte Hüte, mit vielen Computerdaten gefüllt. Lean
Management? Man kann es auch in anderen Worten sagen: So wenig
Aufwand treiben wie sinnvoll und notwendig.
Man sollte nicht versuchen, krampfhaft zu optimieren,
empfehlen Sie. Waren Total Quality Management und der
Qualitätsstandard ISO 9000 ein Holzweg - und warum?
TQM und ISO waren gut für Unternehmen, bei denen
Organisation und Qualitäten nicht in gut durchdachten und
geordneten Bahnen liefen. Ein Holzweg also generell nicht, weil
es in vielen Unternehmen zu notwendigen Anstrengungen führte. Für
diejenigen, für die Qualität immer ein Topthema war, ergab sich
hier nur eine neue bürokratische Einrichtung. Ein früherer
Miele-Produktionschef hat mal gesagt, dass man Qualität nicht in
die Produkte hineinprüfen könne; man müsse sie einfach
machen.
Auch für brachiales Change Management haben Sie nichts übrig.
Wie stimmt man sein Unternehmen richtig auf den Wandel ein?
Wandel vollzieht sich in kleinen Schritten, selten in
Riesensätzen. Heute werden Krisen und Probleme von den
Unternehmen oft mit einer Reorganisation beantwortet, die von
oben verordnet wird. Doch das funktioniert nicht. Stattdessen
sollte ein kleiner, täglicher Wandel auf der Ebene der
Mitarbeiter stattfinden. Dann kann das Unternehmen sich
kontinuierlich auf neue Gegebenheiten einstellen. Und auf
Umsatzrückgänge und Schwankungen sollte man gelassener reagieren.
Ein gut geführtes Unternehmen sollte Rückgänge von 20 Prozent
verkraften können, ohne in die roten Zahlen zu kommen.
Die Brüder Albrecht, die Besitzer des ALDI-Imperiums, sind
inzwischen schon über 80. Gibt es eine Nachfolgeregelung? Glauben
Sie, dass ALDI im Besitz anderer noch eine so starke, von den
Besitzern geprägte Unternehmenskultur aufrechterhalten kann?
Das bleibt die Frage. Garantien gibt es nicht. Kulturen
können sich speziell bei ALDI noch lange halten, weil es sich um
ein so dezentral organisiertes "Imperium" handelt. Aber ein paar
neue zentrale Direktiven von neuen Leuten - vielleicht erst in
zehn Jahren - könnten ein solches Unternehmen auch radikal
verändern.
Heute führen im Süden familienfremde Manager, im Norden
zusätzlich zwei Söhne. Der Süden "übt" also schon einige Jahre
mit familienfremden Managern und dürfte somit einigen
Erfahrungsvorsprung haben. Doch ALDI wird auf jeden Fall im
Besitz der Familienstiftungen bleiben, praktisch unverkäuflich.
Wer ALDI heute kaufen wollte, müsste den Wert von DaimlerChrysler
auf den Tisch legen. Das schafft kaum einer.
Lesen Sie dazu auch Präsentationen? Überflüssig! - die Besprechung zu Dieter Brandes neuen Buch: Die 11 Geheimnisse des ALDI-Erfolges.
Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.
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