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Selbstorganisation entfesseln
Viel ist von Selbstorganisation die Rede. Doch was darunter zu verstehen ist und wofür sie gut sein soll, ist keineswegs klar. Und wenn der gut gemeinte Versuch, Selbstorganisation einzuführen, dann scheitert, herrscht Ratlosigkeit. Da hilft vielleicht ein wenig Theorie. Beginnend mit der grundlegenden Einsicht: Ein Unternehmen, seine Bereiche, Abteilungen und Teams können nicht nicht-selbstorganisiert sein. Selbstorganisation lässt sich nicht verordnen, proklamieren oder einführen. Sie lässt sich nur entfesseln.
Was Selbstorganisation ist und was sie soll, ist keineswegs klar.
Mythos Selbstorganisation
Gibt man den Begriff Selbstorganisation bei Google ein, liefert die Suchmaschine rund 1,9 Millionen Treffer, Tendenz steigend. Die zuerst angezeigten Webseiten titeln "Selbstorganisation lernen: Bessere Ergebnisse, mehr Ordnung" oder "5 Prinzipien der Selbstorganisation - Zeit zu leben" oder "So funktioniert Selbstorganisation im Unternehmen: Die 10 Grundlagen". Sie alle versprechen schnelle Erklärung und einfache Umsetzung.
Es zeigen sich zwei Kontexte, in denen der Begriff verwendet wird. Einmal wird Selbstorganisation als eine bestimmte Art der Führung im Unternehmen erklärt, die man einführen könne, ein anderes Mal ist es die Organisation der Arbeitsaufgaben. Die Beiträge hierzu geben Tipps wie beispielsweise, alle Aufgaben aufzuschreiben und sich passende Methoden und Hilfsmittel wie Klemmbrett oder Zeitplanbuch zuzulegen. Es macht den Eindruck, als sei Selbstorganisation das neue Zeitmanagement, denn es dreht sich immer wieder um das Priorisieren von Aufgaben und die richtige Life-Balance.
Gerade auch in Organisationen, dem zuerst genannten Kontext, ist der Begriff seit einiger Zeit sehr populär und hat längst die Beraterszene zur Formulierung diverser Konzepte veranlasst. Ergänzt man die Google-Suche nun um den Begriff Unternehmen, wird es wild. Schon die ersten Treffer kündigen an, Selbstorganisation sei DIE Organisationsform der Zukunft. Weniger Bürokratie durch weniger Hierarchie, ermöglicht zum Beispiel durch Holokratie. Agil und projektbezogen zu arbeiten wird in manchen Beiträgen als Selbstorganisation beschrieben, häufig mit Bezug auf Frederic Laloux’ Buch Reinventing Organizations. Ein anderes Mal ist Selbstorganisation einfach das Gegenteil von Hierarchie oder Command and Control. Genauer wird es eher selten. Dafür wird der Begriff sehr oft anhand konkreter Unternehmensbeispiele vorgestellt.
Leuchttürme der Selbstorganisation
Buurtzorg, Upstalsboom, Haufe-umantis, Spotify und der dm-drogerie markt scheinen die Liste der am häufigsten zitierten Organisationen immer noch anzuführen. Gefolgt von semco, Morning Star, W. L. Gore, allsafe und Favi. Auch ich nenne in meinen Büchern und Artikeln Unternehmen und deren Besonderheit in ihrer Art und Weise, Arbeit zu organisieren. Wollen wir uns dem Begriff ernsthaft nähern und über diese Beispiele herausfinden, was Selbstorganisation ist, ist es sinnvoll, einen Blick auf diese Organisationen zu werfen.
Buurtzorg, 2006 von Jos de Blok und vier Pflegekräften in den Niederlanden gegründet, ist ein Anbieter von Pflegeleistungen. Das Versprechen: die Eigenständigkeit der Patienten so weit wie möglich zu erhalten. Eigenständige Teams von acht bis zwölf Pflegekräften kümmern sich vollumfänglich um ihre Patienten. Die Teams stellen neue Kollegen und Kolleginnen selber ein, lösen ihre Konflikte eigenständig und organisieren ihre Arbeit so, dass sie zu ihrem sonstigen Leben gut passt. Es gibt keine formalen Führungskräfte, und das Headquarter hat rein unterstützende Funktion wie beispielsweise für die IT. Angewachsen auf mehr als 10.000 Mitarbeitende hat Buurtzorg seinen Weg in die Welt längst gefunden. Der deutsche Ableger übrigens wirbt mit genau den eben aufgeführten Argumenten um Mitarbeitende. Dabei steht Selbstbestimmung im Vordergrund. Der Begriff Selbstorganisation findet sich hier nicht.
Haufe-umantis wird immer dann angeführt, wenn es um die Revolutionierung in der Besetzung von Führungspositionen geht. Denn hier gibt es zwar noch formal benannte Führungskräfte, die allerdings wurden eine Zeit lang gewählt. Schon 2013 führte Haufe-umantis die jährlichen Wahlen der Führungskräfte ein, stellte aber mit der Zeit fest, dass Wirkungen entstanden, die man nicht bedacht und antizipiert hatte. Die Hoffnung, durch die Wahl die Verbindlichkeit zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden zu stärken, hat sich nicht erfüllt. Stattdessen verzögerten Mitarbeitende kritische Rückmeldungen eher auf den Wahltag, und die Führungskräfte scheuten sich immer häufiger, unangenehme Entscheidungen zu treffen. Seit 2019 existiert statt der Führungswahl ein Advice-Prozess, mit dem jede(r) Mitarbeitende im Unternehmen temporär und situationsbezogen Führung übernehmen, sich dann aber auch wieder zurückziehen kann.
Wenn es ein Modell in die Managementrunden großer Unternehmen geschafft hat, dann das Spotify-Modell. Organisiert in Tribes, Squads, Chapters und Guilds sollen Hierarchien abgebaut und autonome, selbstorganisierte Teams aufgebaut werden. Die Orientierung am Wertstrom war 2012 für Spotify selbst die Initialzündung, über eine Organisationsform nachzudenken, die es erlaubt, schnell und flexibel zu agieren. Es wird viel geschrieben und zitiert rund um das Spotify-Modell, wobei es meist wie eine Art Blaupause hochgehalten wird. In der Praxis wird das Modell natürlich adaptiert und für den jeweiligen Organisationskontext angepasst. Doch am Ende bleibt oft ein großer Teil der alten Strukturen und Denkweisen bestehen, die nur anders benannt werden.
Jedes dieser Unternehmen wird meist für einen ganz bestimmten Aspekt seiner Organisation angeführt. Der dm-drogerie markt für Dezentralisierung, Morning Star für Investitionsfreiheit mit einem entsprechenden Beratungsprozess und Haufe-umantis für die Führungswahl. Eines haben alle Beispiele dabei mindestens gemeinsam: Sie werden als Leuchttürme der Selbstorganisation gepriesen.
Was lehrt uns das?
Der Begriff Selbstorganisation wird mit verschiedensten Bedeutungen belegt und gleichzeitig auf diversen Ebenen betrachtet. Auf der individuellen Ebene ist oft reines Aufgabenmanagement damit gemeint. Es geht darum, die Arbeiten zu priorisieren und bei Bedarf auch mal Nein zu sagen. Das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Als Begrifflichkeit wäre Selbstmanagement passender.
Im Kontext von Unternehmen, vor allem dort, wo es um Agilität, Autonomie oder Dezentralisierung geht, wird Selbstorganisation als eine rosige Lösung hochgelobt, meist jedoch ohne überhaupt ein entsprechendes Problem zu benennen. Wobei, das sei an dieser Stelle angemerkt, Selbstorganisation per se keine Problemlösung ist. Mehr dazu später in der Definition. Gleichwohl wird Selbstorganisation als Lösung benannt. Wofür, bleibt jedoch vage. Mal wird Selbstorganisation als Mittel gegen das böse Command and Control, mal für "Menschlichkeit im Unternehmen" angeführt. Ebenso häufig wird über das Mindset der einzelnen Menschen fabuliert. New Work oder auch "unsere VUCA-Welt" bräuchten ein bestimmtes Mindset, damit Selbstorganisation als Lösung funktionieren könne. Dabei ist schon an der Schlagwortdichte des Satzes zu erkennen, dass sich dahinter viel Rauch um wenig verbirgt.
Zudem steckt eine problematische Grundannahme hinter den Mindset-Diskussionen: Die Unterstellung nämlich, dass die Menschen das Problem oder der Hinderungsgrund seien, wenn es mit dem Mehr an Selbstorganisation nicht klappt. Wohlgemerkt wird dabei immer noch von etwas gesprochen, das weder mit Sinn unterfüttert noch definiert worden ist. Was Selbstorganisation eigentlich leisten soll, bleibt unklar. Das Gute daran ist: Wir können so bedenkenlos und ewig debattieren, denn es wird weder konkret noch verbindlich. Das Schlechte daran: Das Mindset-Denken diffamiert den Menschen. Es unterstellt implizit, dass er das "richtige" Mindset (noch) nicht hat. Er ist also behandlungsbedürftig.
Auch auf der Ebene des Teams bleiben die Betrachtungen an der Oberfläche, meist geht es ums Entscheiden, um "echte Teamarbeit", um Vertrauen oder Respekt als Zutaten für selbstorganisiertes Arbeiten. Die Rezepte klingen gefällig und schön einfach: Selbstorganisierte Teams sind produktiv, flexibel und glücklich. Damit das gelingt, müssen die Menschen sich respektieren, einander vertrauen und eigene Entscheidungen treffen. Et voilà. Vieles von dem, was da geschrieben und vorgeschlagen wird, ist sinnvoll, keine Frage. Selbstorganisation auf Teamebene anzulegen, springt jedoch zu kurz. Denn ein Team zu betrachten, ohne die übergeordnete Organisation zu berücksichtigen, ergibt wenig Sinn. Kein Team ist losgelöst von seinem Kontext Organisation. Auch wenn Selbstorganisation als Synonym für Autonomie verstanden wird, kann die Organisation nicht ausgeblendet bleiben. Autonomie kann nicht ausgebaut werden, ohne mit der Organisation zu handeln, zu verabreden und zu balancieren.
Am allerhäufigsten wird Selbstorganisation als eine Organisationsform beschrieben, die sich durch das Fehlen von Vorgesetzten und keine oder flache Hierarchie auszeichnet. Der dabei formulierte Kausalzusammenhang lautet: Keine Chefs und keine Hierarchie erzeugt Selbstorganisation. Es wäre eventuell sogar schön, wenn es so einfach und trivial wäre. Doch dieser Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ist so unterkomplex, dass es eigentlich jedem auffallen sollte, der sich ein wenig mit sozialen Systemen beschäftigt hat. Denn diese Annahme würde ja bedeuten, dass sich in einem komplexen System durch eine ganz bestimmte Intervention ein vorbestimmtes Ergebnis sicher erzielen ließe. Ein immer noch weitverbreitetes Missverständnis! Denn solche komplexen Systeme entziehen sich der Idee von zentraler Steuerung und Vorhersagbarkeit. Wir können höchstens mit solchen Formulierungen als Hypothesen arbeiten, mehr jedoch nicht. Der zweite Irrtum hierbei liegt in der Idee, Selbstorganisation könne "herbeigeführt" werden. Dazu später in der Definition mehr.
Bei den Betrachtungen auf der Organisationsebene hingegen werden Ziele und Motive oft mitgeliefert. Es geht darum, schneller zu werden, Potenziale freizusetzen, flexibel zu sein und Kosten zu sparen. Wirkungen, die man sich von mehr Selbstorganisation erhofft, weil es bei Buurtzorg oder dm oder semco ja auch funktioniert hat. Mögliche Wirkungen hingegen, die durch mehr Entscheidungsbefugnisse oder weniger formale Führung entstehen können, werden dagegen ausgeblendet - etwa zu antizipieren, welchen Effekt beispielsweise eine Führungswahl über die Zeit haben kann. Und das Muster auf der Teamebene wiederholt sich: So wie dort Teams ohne Organisation betrachtet werden, geht es hier um die Organisation, ohne die Teams einzubeziehen. Deutlich wird auch, dass es sich oft um rein methodische Maßnahmen handelt - nach dem Motto "Wir führen Spotify ein" oder "Wir wählen jetzt die Führungskräfte". Solche Aktionen ohne ein theoretisches Fundament darunter oder auch nur eine klare Vorstellung, welche Wirkungen und Dynamiken einzelne Maßnahmen erzeugen können, haben aber oft eine gegenteilige Wirkung. Dann schimmert durch die gut gemeinten Konzepte der angedachten Transformation die alte Denke, die sich den Weg durch die verordnete Selbstorganisation bahnt.
Um kurz zusammenzufassen: Den meisten Erzählungen, Anpreisungen und "Einführungen" von Selbstorganisation mangelt es an theoretischem Fundament und an Definition. So entsteht eine große Uneinheitlichkeit von Ansätzen und Formen. Das wäre gut, wenn es zu fortlaufendem Diskurs und zur Klärung mindestens in den spezifischen Unternehmenskontexten führen würde. Doch das ist meiner Beobachtung nach nur selten der Fall.
Was ist Selbstorganisation?
Eine wesentliche Frage ist aber immer noch offen: Was ist Selbstorganisation? Ausgehend von systemtheoretischen Überlegungen wird hier eine Definition vorgeschlagen.
Denn oberflächlich aufgetragen und ohne Grundierung verkümmert Selbstorganisation zur Schminke. Auch wenn es gut gemeint ist, ist es oft nicht gut gemacht. Also braucht es eine Idee, was Selbstorganisation tatsächlich ist. Dann wird auch klar, warum Selbstorganisation zu "machen" nicht funktioniert.
Wie grundsätzlich in meiner Arbeit orientiere ich mich an der Systemtheorie, besser: den Systemtheorien, die diverse Definitionen für den Begriff Selbstorganisation verwenden. In Anlehnung an die Arbeiten Heinz von Foersters beziehe ich mich auf folgende Erklärung:
Selbstorganisation ist die Fähigkeit eines Systems, aus sich selbst heraus stabile Muster der Interaktion zu erzeugen.
Weder der Mensch noch ein Team oder eine Organisation folgen einem linear-kausalen Drehbuch. "A erzeugt immer B" gilt nur für triviale Maschinen, beispielsweise für Toaster (um im Bild Heinz von Foersters zu bleiben). Scheibe Toast rein, Knopf drücken, getoasteter Toast raus. Der gleiche Input liefert immer den gleichen Output. Ein Toaster kann seinen inneren Zustand nicht verändern, soziale Systeme hingegen können das schon. Dabei spielt die Vergangenheit eine große Rolle, weil diese Systeme von ihr abhängen. So lässt sich immer wieder beobachten, dass ein Team (mit einer tradierten Chef-trifft-die-Entscheidungen-Erfahrung) nicht plötzlich jubelnd gemeinsam entscheidet, nur weil das vom Management gerade ausgerufen wurde. Es braucht eine Zeit des Beobachtens, ob das wirklich ernst gemeint ist, und es braucht eine Zeit des Ausprobierens, wie es denn miteinander geht. Wie das ausgeht, ist dabei offen.
Um im Beispiel zu bleiben, kann das neue Muster sowohl "Jetzt entscheiden wir gemeinsam" werden oder aber "Weiterhin delegieren wir jede Entscheidung an den Chef" bleiben. Welche Option gewählt wird, hängt nicht von den beteiligten Personen und deren Persönlichkeitsstruktur ab, sondern ist genau eine Eigenschaft sozialer Systeme. Was konkret das Ergebnis der Intervention "Bitte nun immer im Team entscheiden" sein wird, können wir vorab nicht sagen. Durch diese Brille betrachtet, wird dann auch schnell klar, welche Konsequenzen Selbstorganisation mit sich bringt: nämlich Heterogenität, Nichtberechenbarkeit und neue Strukturen.
Sehen wir Teams und Organisationen als soziale Systeme, dann wird eine weitere Erkenntnis frei Haus geliefert: Jedes Team und jede Organisation ist bereits selbstorganisiert. Ein Unternehmen, seine Bereiche, Abteilungen und Teams können nicht nicht-selbstorganisiert sein. Nur ist Selbstorganisation in vielen Organisationen zugunsten von Effizienz und Produktivität gefesselt und geknebelt durch Bürokratie, Kontrolle, formale Macht und Vorgaben aller Art. Selbstorganisation kann also gar nicht eingeführt oder gemacht werden, sie ist schon da. Aber sie zu entfesseln ist sinnvoll.
Mehr Selbstorganisation zulassen
Was ich persönlich für erstrebenswert halte, ist wertschöpfende und menschenfreundliche Zusammenarbeit. Selbstorganisation ist hierfür kein zu verordnendes Medikament, das man irgendwie den Teams oder Unternehmen verabreichen muss. Es ist schlichtweg eine Grundeigenschaft von Organisationen, die wir mehr zulassen dürfen. Das hat übrigens nichts mit "Laisser-faire" zu tun. Wird ein Team einfach sich selbst überlassen, ohne Ordnungsrahmen, ohne ein gemeinsames Problem, ohne klare Verabredungen und ohne Verbindlichkeit, wird es sich mit der Suche nach genau dieser Ordnung beschäftigen und weniger auf Produktivität und Wertschöpfung fokussieren. Ein Mehr an Selbstorganisation bedeutet immer auch ein Mehr an Kommunikation, an Klärung und Verabredung. Es braucht entsprechende Voraussetzungen, und zwar organisational, im Team und auf der individuellen Ebene. Nur eine Ebene in den Blick zu nehmen, wird nicht zur intendierten Wirkung führen. Die Organisation schafft die Bedingungen, damit mehr Selbstorganisation überhaupt möglich werden kann. In den Teams sind bestimmte Teamkompetenzen und charakteristische Formen der Zusammenarbeit erforderlich. Nicht zuletzt ist jeder einzelne Mensch anders gefordert und sollte reflektieren, ob und wie er den Weg zur Selbstorganisation mitgehen will.
Die folgenden Voraussetzungen für Selbstorganisation bilden Minimalanforderungen und können eine gute Orientierung sein.
Auf der Ebene der Organisation
- Die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit müssen für die Menschen glasklar sein.
- Teams agieren so autonom wie möglich. Das heißt, Entscheidungen werden dezentral getroffen in Bezug auf alle für die Wertschöpfung notwendigen Aspekte.
- Die formale Hierarchie, die aufgrund des Gesellschaftsrechtes immer notwendig bleibt, wird nur für Patt-Situationen genutzt, wenn Entscheidungen nicht getroffen oder Konflikte nicht gelöst werden können.
- Standardisierte Prozesse sorgen für teamübergreifende Koordination.
- Volle Transparenz über alle wichtigen Zahlen, Daten und Fakten wird hergestellt.
- Teamleistungen werden honoriert, Einzelleistungen nicht.
- Es gibt keine Regelmeetings à la Jour fixe, in denen sternförmig an einen Leitenden berichtet wird. Vielmehr werden Besprechungen nach Bedarf angesetzt.
- Zeit und Raum für die Teamentwicklung werden zugelassen.
Auf der Ebene des Teams
- Die gemeinsame Vision oder das gemeinsame Ziel sind das verbindende Element für jedes Team. Dabei muss nicht jeder Einzelne zu hundert Prozent auf die Vision oder das Ziel "committed" sein.
- Es herrschen Disziplin und Verbindlichkeit, die verabredeten Prozesse und Vorgehen einzuhalten. Und zwar auch dann, wenn es gerade unbequem ist. Das ist der anstrengende Teil von Zusammenarbeit.
- Ein Team braucht Diversität. In Bezug auf Kompetenzen, Kenntnisse, Meinungen und Erfahrungen sollte es Unterschiede bei den Teammitgliedern geben. Das wird aber nur zu einem Gewinn, wenn die Unterschiedlichkeit gesehen, akzeptiert und als Bereicherung verstanden wird.
- Das Team ist in der Lage, auch psychosoziale Themen wie Distanz, Nähe oder auch Macht miteinander zu besprechen.
- Es wird immer wieder reflektiert, dass und wie das Team von der Organisation beeinflusst wird.
- Das Team versteht sich als lernendes System und reflektiert regelmäßig nicht nur das WAS der Zusammenarbeit, sondern auch das WIE. Es verändert und korrigiert seine Verabredung der Zusammenarbeit, wenn es notwendig ist.
- Es ist verabredet, wie Entscheidungen getroffen werden.
- Die Fähigkeit, konstruktiv mit Konflikten umzugehen, wird trainiert.
Der Mensch
- Es ist notwendig, dass jeder Einzelne verbindlich und ernsthaft mit den Verabredungen im Team umgeht. Disziplin beginnt beim Einzelnen und setzt sich im Team fort.
- Die eigenen Verhaltens- und Denkmuster reflektieren kann grundsätzlich jeder Mensch. Aber nicht jeder ist darin geübt. Das aber ist Grundvoraussetzung, damit ein Team gemeinsam reflektieren kann. Sonst bleibt es in Retrospektiven auf der Sachebene, und die Teamdynamiken werden nicht betrachtet.
- Jede(r) stellt ernsthaft die Frage an sich selbst: "Will ich so arbeiten?"
- Sich in diesem Kontext als Individuum zu verstehen, bedeutet eben nicht, sich isoliert zu betrachten, sondern eingebunden in die wechselseitigen Beziehungen im Team und die Zwänge, die die Organisation vorgibt.
- Sich als ein Teil des Ganzen zu verstehen, heißt auch, die persönlichen Befindlichkeiten mal zurückzustellen.
Wofür Selbstorganisation?
Eine Grundbedingung von Selbstorganisation, die in all den Veröffentlichungen zu diesem Thema unerwähnt bleibt, ist das hohe Maß, in dem sich die Teams mit sich und der Organisation auseinandersetzen müssen. Je mehr Selbstorganisation zugelassen wird, desto mehr Themen muss das Team bearbeiten, klären und entscheiden. Das ist eine "Gefahrenzone". Denn es erhöht den Kommunikationsaufwand per se und schafft Möglichkeiten für Machtkämpfe und Konflikte. Doch jedes Team und auch jeder einzelne Mensch ist in der Lage, damit gut umzugehen. Eventuell braucht es ein wenig Training und Zeit, denn diese Fähigkeiten werden in unseren tradierten Organisationen nicht abgerufen und sind daher oft ungeübt.
Und: Über allem sollte immer die Frage nach dem "Wofür?" stehen. "Was wollen wir mit mehr Selbstorganisation erreichen? Welches Problem glauben wir, damit zu lösen? Was versprechen wir uns davon? Sind wir bereit dazu? Meinen wir es ernst?" Werden in einer Organisation diese Fragen gemeinsam diskutiert und stimmige Antworten erarbeitet, dann wird diese Organisation auch eine für ihren Kontext stimmige Begriffsklärung finden. Und sie wird unter die Oberfläche der vermeintlich schnellen Lösungen und leeren Worthülsen vorstoßen und gewinnt damit mehr Klarheit über ihre Selbstorganisation.
Zitate
"Selbstorganisation per se ist keine Problemlösung. Gleichwohl wird Selbstorganisation als Lösung benannt. Wofür, bleibt jedoch vage." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Das Mindset-Denken diffamiert den Menschen. Es unterstellt implizit, dass er das ‚richtige‘ Mindset (noch) nicht hat. Er ist also behandlungsbedürftig." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Selbstorganisation auf Teamebene anzulegen, springt zu kurz. Denn kein Team ist losgelöst von seinem Kontext Organisation." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Den meisten Erzählungen, Anpreisungen und ‚Einführungen‘ von Selbstorganisation mangelt es an theoretischem Fundament und an Definition. So entsteht eine große Uneinheitlichkeit von Ansätzen und Formen." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Selbstorganisation ist die Fähigkeit eines Systems, aus sich selbst heraus stabile Muster der Interaktion zu erzeugen." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Jedes Team und jede Organisation ist bereits selbstorganisiert. Ein Unternehmen, seine Bereiche, Abteilungen und Teams können nicht nicht-selbstorganisiert sein." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Selbstorganisation ist in vielen Organisationen zugunsten von Effizienz und Produktivität gefesselt und geknebelt durch Bürokratie, Kontrolle, formale Macht und Vorgaben aller Art." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Selbstorganisation kann nicht eingeführt oder gemacht werden, sie ist schon da. Aber sie zu entfesseln ist sinnvoll." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Selbstorganisation ist schlichtweg eine Grundeigenschaft von Organisationen, die wir mehr zulassen dürfen." Stephanie Borgert: Selbstorganisation entfesseln
"Ein Mehr an Selbstorganisation bedeutet immer auch ein Mehr an Kommunikation, an Klärung und Verabredung."
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Quellenangaben
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© Foto: Starling murmuration above Worthing pier, Worthing, UK © Photo by Huey Images on Unsplashzum Foto
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© Coverabbildung: GABAL Verlag
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Autorin
Stephanie BorgertStephanie Borgert ist Buchautorin, Vortragsrednerin, Managementberaterin und Weiterdenkerin für ein zeitgemäßes Management. Ihre Themenschwerpunkte sind Komplexität, Selbstorganisation und organisationale Resilienz.