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Nebeneinander oder miteinander?
Sie heißen Seats2Met, Agora, Camaraderie, Thinkspace, Toolbox oder Betahaus. Sie spielen mit der Verknüpfung von Gemeinschaft, Raum und der Entstehung neuer Ideen. Und sie liegen sehr im Trend: 1.800 Coworking Spaces gibt es mittlerweile weltweit. Fast doppelt so viel wie im letzten Jahr. Eine junge Sozialwissenschaftlerin forscht zum Thema. Ein Interview.
Auf der einen Seite ist Coworking "eine Strategie im Umgang mit flexiblen, meist atypischen Beschäftigungsverhältnissen", auf der anderen Seite "zeigt es die Kehrseite der Digitalisierung, indem es den Wunsch nach sozialer und räumlicher Nähe zum Ausdruck bringt". Sagt Janet Merkel, eine junge Berliner Sozialwissenschaftlerin, die zum Thema Coworking forscht. Vor ihrem Abflug zu Interviews mit Betreibern von Coworking Spaces in New York und London haben wir mit ihr über das boomende Phänomen gesprochen.
Janet Merkel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit am Wissenschaftszentrum Berlin WZB. Sie wurde 2012 mit einer Arbeit über neue städtische Governanceformen in der Kultur- und Kreativwirtschaft promoviert und arbeitet derzeit an einer Studie über Coworking Spaces. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie deren Betreiber den Austausch zwischen den Coworkern fördern können.
Frau Merkel, Sie forschen über Coworking Spaces. Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?
Ich habe für meine Doktorarbeit in London viele Interviews geführt und suchte einen Ort, wo ich schreiben konnte. Den habe ich in dortigen Coworking Spaces gefunden. Für mich war das ideal, da konnte ich mal einen Tag, mal ein paar Stunden hingehen, ich hatte Internet, Ruhe und einen Platz, wo ich meine Notizen machen konnte. Andererseits ist das Thema in der empirischen Forschung in Berlin in den letzten zwei Jahren an jeder Ecke aufgetaucht.
Wie waren so Ihre Erfahrungen mit dem Coworking Space in London?
Ich fand es immer sehr, sehr angenehm. Ich war im Cube, der sehr ambitioniert geführt wird. Die Betreiberin macht sich viele Gedanken über die räumliche Gestaltung - welche Tische, welche Stühle, welche Lampen, welche Farben? Dieser Raum ist sehr gestimmt.
Was hat man sich genau unter Coworking vorzustellen: eine neue Arbeitsform, eine neue Form der Zusammenarbeit oder einfach nur eine ökonomische Art, an günstigen Büroraum zu kommen, der vielleicht auch noch schön gestaltet ist?
Ich würde sagen Letzteres. Es geht um einen Ort, an dem ich flexibel arbeiten kann, der aber auch das Versprechen beinhaltet, Leute in einer ähnlichen Situation zu treffen, mit denen ich mich austauschen kann. Diese Flexibilität, sich aussuchen zu können, ob man einen Tisch tageweise, wochenweise oder monatsweise anmietet, unterscheidet Coworking Spaces von Businesscentern oder Gemeinschaftsbüros. Hinzu kommt: In den Selbstbeschreibungen der Coworking-Szene zeigt sich ein neues Arbeitsmodell, das stark von der sogenannten Sharing Economy und der Entwicklung des Web 2.0 beeinflusst ist: Man will Ressourcen teilen, will gemeinsam lernen und miteinander Projekte machen. Man muss aber schauen, inwiefern das tatsächlich stattfindet.
Was findet statt?
Auf jeden Fall spontane Interaktionen, wie man sie auch aus ganz normalen Büros kennt, sei es am Kaffeeautomaten, in der Leseecke oder wenn man bei jemandem am Tisch vorbeiläuft. Ob aber wirkliches Zusammenarbeiten stattfindet und Coworker gemeinsam Projekte entwickeln, das variiert stark von Coworking Space zu Coworking Space. In manchen wird viel miteinander gesprochen und es finden soziale Events statt, um genau diesen Austausch anzuregen. Ob Zusammenarbeit stattfindet oder nicht, hängt somit auch von dem Anspruch ab, den ein Coworking Space hat. Manche Hosts, das sind die Betreiber von Coworking Spaces, haben sich auf die Fahnen geschrieben, diesen Austausch anzuregen, und denken darüber nach, wie sie Zusammenarbeit fördern können. Andere sagen, das ist mir egal; ich biete einen Arbeitsplatz, und das war es. Auch das gibt es. Gestern erst war ich in einem Space, in dem 30 Angestellte sitzen, die so gut wie gar keinen Austausch untereinander haben.
Wie verbreitet sind Coworking Spaces?
Es gibt bislang kaum Forschung zu diesem Thema. Die einzigen Daten bietet Deskmag mit dem Global Coworking Survey. Die hatten im Jahr 2007 noch 75 Spaces gezählt, im Februar 2012 waren es schon 1.320 - das ist schon eine rasante Zunahme. Und sie gehen davon aus, dass dieses starke Wachstum anhalten wird.
Coworking Spaces gibt es seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts?
Der Global Coworking Survey nennt sogar einen Coworking Space aus dem Jahr 1999. Allgemein gilt aber ein Coworking Space in San Francisco als der erste. Dort hatten sich im Jahr 2005 Freelancer zusammengetan, um einen Ort zu schaffen, an dem sie arbeiten, miteinander Ressourcen teilen und gemeinsam eine Arbeitsatmosphäre herstellen konnten.
Gibt es so etwas wie ein Standardmodell eines Coworking Space?
Nein, es herrscht eine große Vielfalt. Auch ist die Abgrenzung zu Gemeinschaftsbüros, die es ja schon viel länger gibt, oftmals nicht klar. Als ich vor sechs Jahren angefangen habe, mich mit Kultur- und Kreativwirtschaft zu befassen, habe ich eine Straße in Berlin untersucht, die Kastanienallee. Dort gab es in den Hinterhöfen überall Gemeinschaftsbüros, wo gern mal zehn oder 15 Illustratoren, Grafiker oder auch Architekten zusammensaßen. Heute würde man das durchaus als Coworking Spaces bezeichnen.
Wo liegt der Unterschied?
Ich würde ihn in der Flexibilität setzen, also darin, dass ich auch nur für einen Tag, für eine Woche oder für einen Monat dahin gehen kann. Im Gemeinschaftsbüro verpflichtet man sich in der Regel längerfristig, einen Tisch zu nehmen. Gemeinschaftsbüros tun sich oft auch als eine GbR zusammen und geben sich einen Namen und ein Label. Das ist der eine Unterschied.
Der andere Aspekt, der neu ist, ist das kulturelle Modell, das vielen Coworking Spaces zugrunde liegt und das man den Selbstbeschreibungen auf Webseiten, in Blogs und in Berichten von Hosts über ihre Tätigkeit entnehmen kann. Demnach fühlen sich Coworking Spaces bestimmten Werten verpflichtet: Zusammenarbeit, Offenheit, Gemeinschaft, Zugänglichkeit und Nachhaltigkeit. Man will also miteinander teilen, nicht nur den Arbeitsplatz in Anspruch nehmen, sondern selbst einen Beitrag leisten, und strebt nach Problemlösungen durch neue Formen der Zusammenarbeit. Inwieweit das auch der Fall ist, ist eine offene Frage.
Sie sind skeptisch? Wieso?
Ich habe bislang zu wenig davon gesehen. Coworking ist gerade sehr attraktiv, hat was Neues. Es ist schon beeindruckend, wenn man zum Beispiel das Betahaus hier in Berlin anschaut: 150 Leute auf vier Etagen, das große Café unten; da ist ein ständiges Kommen und Gehen, es gibt viele Veranstaltungen, und alle scheinen total happy zu sein und sagen, dass es ihnen helfen würde. Aber ich würde da schon einige Fragezeichen setzen. Welche Art von Arbeit wird da gemacht? Wie produktiv kann man in diesem Umfeld sein? Kann man tatsächlich konzentriert arbeiten, etwa einen Text verfassen? Da muss man genau hinschauen.
Wer nutzt Coworking Spaces? Überwiegend Leute aus der Kultur- und Kreativwirtschaft?
In der Mehrzahl sind es Freiberufler, Freelancer, die Coworking Spaces nutzen: Journalisten, Web-Programmierer, Softwareentwickler, Blogger, Leute, die im Bereich Social Media arbeiten. Die Kreativ- und Kulturwirtschaft bildet also die Hauptzielgruppe - aber eben nicht nur. In Coworking Spaces findet man auch Ingenieure oder Techniker, die nicht am Unternehmenssitz arbeiten. Gestern war ich in einem Space, da saßen mehrere freie Bauingenieure. Relativ neu ist auch, dass Unternehmensmitarbeiter eine Zeit lang in einem Coworking Space sitzen - einfach, um in einer anderen Atmosphäre zu arbeiten. Zum Beispiel hat der Marketingbereich der Otto-Gruppe für eine Weile im Betahaus Hamburg gearbeitet. Oder hier in Berlin wird das Car2go-Projekt von Daimler im Betahaus entwickelt.
Was bewegt die Unternehmen dazu, ihre Leute dort hineinzusetzen?
Nah an der Szene zu sein, nah an dem Neuen, das gerade passiert. Abwechslung ins eigene Team zu bringen, indem man den Arbeitsort verändert und in einer anderen Art und Weise miteinander arbeitet. Es gibt noch ein anderes Phänomen, das ich sehr spannend finde: Unternehmen öffnen sich und schaffen eigene Coworking Spaces. Zum Beispiel hat ein Architekturbüro in Barcelona zehn Tische für Coworker eingerichtet, bevorzugt natürlich Architekten, die als Freelancer arbeiten und dann vielleicht auch in eigene Projekte eingebunden werden können.
Was treibt Coworker zu dieser Form des Zusammenarbeitens?
Ich sehe da drei zentrale Motive: Zuallererst ist da die Flexibilität. Die flexible Anmietung eines Arbeitsplatzes entspricht der projektförmigen Arbeitsweise, vor allem bei unsicherer Auftragslage. Da so ein Arbeitsplatz nicht sehr viel kostet, kann man seine Fixkosten relativ niedrig halten.
Der zweite wichtige Punkt sind Anerkennung und Bestätigung: Coworker verbinden mit dieser Art des Arbeitens die Hoffnung, sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können und eine soziale Bestätigung und Anerkennung der eigenen Arbeit und Fähigkeiten zu erfahren. Man findet andere, mit denen man über seine Arbeit sprechen kann und die einem wiederum Feedback geben zu dem, was man tut.
Das dritte Motiv ist das selbstbestimmte Arbeiten in einer anregenden, kooperativen Atmosphäre, die gegenseitiges Lernen möglich macht. Man lernt, indem man sich über seine Arbeit austauscht. Man kommt an Informationen, die einem vielleicht weiterhelfen. Man bekommt Kontakte vermittelt.
Hinzu kommen Vorteile wie die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, ein großer Drucker zum Beispiel oder eine Espressomaschine. Im Coworking Space kann man sich Kosten teilen, die für einen allein zu hoch sind - vor allem am Anfang, wenn man versucht, sich selbständig zu machen.
Wenn man schaut, welche Selbstbilder die Kultur- und Kreativwirtschaft hervorgebracht hat - das digitale Nomadentum, die digitale Boheme, das Arbeiten im Café -, und plötzlich entsteht eine doch recht büroähnliche Arbeitsorganisation. Steckt da nicht eine gewisse Ironie drin?
Eine Ambivalenz auf jeden Fall. Einerseits ist Coworking eine Strategie im Umgang mit flexiblen, meist atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Auf der anderen Seite zeigt es die Kehrseite der Digitalisierung, indem es den Wunsch nach sozialer und räumlicher Nähe zum Ausdruck bringt.
Coworking ist eine Bewältigungsstrategie gegen die Entgrenzung, die stattgefunden hat. Es sagt aus: Wir brauchen neue Strukturen, in denen wir uns wieder zusammenfinden, in denen wir Kosten sparen, in denen wir voneinander lernen können und in denen wir eine Situation der Zusammenarbeit herstellen - nur dass da oben drüber kein Unternehmen oder eine Organisation steht, sondern die Form selbst gewählt ist und die Beteiligten darüber entscheiden, wie sie das gestalten.
Andererseits sagt es: Man hat einen Arbeitsplatz, der eben nicht das Zuhause ist. Coworking ist der Versuch, die Trennung von Arbeiten und Wohnen wiederherzustellen. Ich würde es fast als eine Art von Herstellung einer Work-Life-Balance betrachten. Das ist die Ambivalenz, die in diesem Modell drinsteckt.
Sie sagen, Coworking Spaces würden materiell wie sozial kuratiert. Es ist also mehr als nur eine zeitweise Vermietung von Bürotischen?
Sicherlich gibt es auch das. Aber der Anspruch vieler Spaces ist es, Kontakt zwischen den Coworkern herzustellen, eine Community aufzubauen. Das bezeichne ich als soziales Kuratieren.
Mit materiellem Kuratieren meine ich, dass in vielen Spaces sehr genau darüber nachgedacht wird, wie man über das räumliche Arrangement eine Arbeitsatmosphäre schaffen kann. Was gehört zu einem Arbeitsplatz? Welche Farben, welche Materialien? Wie kann man einen offenen Büroraum so gestalten, dass mehr Kontakt entsteht?
Gibt es eine Ausdifferenzierung nach Branchen?
Ja, das kann man beobachten. In Berlin gibt es beispielsweise den sogenannten Nadelwald, einen Coworking Space vorwiegend für Modedesigner und Näherinnen. Ein anderes Beispiel ist einer für Musiker und Musikproduzenten, die besondere räumliche Anforderungen haben. Was man auch beobachten kann, ist eine Art "natürliche", nicht intendierte Entwicklung, die dazu führt, dass im Lauf der Zeit beispielsweise nur noch Softwareentwickler dort sitzen. Auch Architekten finden sich häufig zusammen. In New York habe ich zwei Projekte für Schriftsteller gefunden. Ziel: einen Arbeitsraum zu schaffen, in dem man konzentriert Texte schreiben kann - der sieht dann natürlich komplett anders aus als beispielsweise das Betahaus. Ich denke, das wird noch zunehmen.
Kann man Coworking Spaces als neues Innovationsmodell begreifen?
Coworking Spaces sind Orte, an denen verschiedenste Arbeits-, Wissens- und Praxiskulturen zusammenkommen und sich gegenseitig befruchten können. Daraus können sich Projekte oder Ideen entwickeln, die dann zu Innovationen führen. Das wäre neu: eine Art verteiltes, interdisziplinäres, kollaboratives Innovationsmodell, das disziplinübergreifend funktioniert. Da sehe ich Potenziale.
Unternehmen, die in Coworking Spaces arbeiten oder selbst welche ins Leben rufen, schaffen im Grunde Durchlässigkeit an Rändern der Organisation?
Genau. Und holen sich damit komplett anderes Wissen herein und öffnen sich neuen Ideen. Denn Innovationen entstehen genau in diesen Randbereichen und nicht mehr im Kern von Disziplinen und Organisationen. Sie entstehen, indem man wirklich völlig verschiedene Bereiche miteinander kombiniert. Heute spricht man mehr und mehr von verteilter Kreativität. Man schaut nicht mehr nur auf das Individuum, sondern darauf, was in Gruppen und zwischen Individuen passiert. In der Innovationsforschung hat man festgestellt, dass es dabei einen verbindenden Kontext braucht - und das ist der Link zum Coworking Space, zu dem dahinterliegenden Kulturmodell: Ich will mit dir teilen und bin prinzipiell bereit, mit dir zu sprechen, auch wenn ich vielleicht gar nicht verstehe, worüber du redest. Damit gibt es eine Verbindung, einen Kontext, auf den man sich beziehen kann. Eine gemeinsame Basis, um überhaupt miteinander ins Gespräch zu kommen.
Eine Frage noch. Der Begriff des dritten Ortes - passt der auf Coworking Spaces?
Ja. Ursprünglich kommt der Begriff aus der Stadtforschung, wo er Orte bezeichnet, wo Menschen sich jenseits von Arbeit und ihrem Zuhause begegnen können, Friseursalons, Coffeeshops et cetera. Das können auch Coworking Spaces sein - sofern sie offen sind und Veranstaltungen anbieten, an denen jeder teilnehmen kann, der möchte. Dann würden sie zu einer Art Schnittstelle, die in einem Quartier sicherlich eine wichtige Wirkung entfalten kann. Damit wären sie ein dritter Ort oder könnten es sein.
Und wie geht es bei Ihnen weiter?
Mein Traum wäre, mir hier ein größeres Forschungsprojekt zu erarbeiten, in dem ich solche Annahmen empirisch überprüfen kann.
Zitate
"Einerseits ist Coworking eine Strategie im Umgang mit flexiblen, meist atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Auf der anderen Seite zeigt es die Kehrseite der Digitalisierung, indem es den Wunsch nach sozialer und räumlicher Nähe zum Ausdruck bringt." Interview Janet Merkel: Nebeneinander oder miteinander?
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.
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