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Liebe Leser, |
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der Schwarze Schwan hat Nassim Nicholas Taleb berühmt gemacht. Sein 2007 erschienenes Buch wurde zum Weltbestseller. Für wichtiger aber erachtete er ein anderes, späteres. Es geht aus von der Beobachtung, dass es keinen Gegenbegriff zu "fragil" gibt. Taleb nannte es "antifragil": "Alles, was von zufälligen Ereignissen oder Erschütterungen mehr profitiert, als es darunter leidet, ist antifragil." Talebs Begriffsneuschöpfung zeigt: Offenbar gibt es keine Beschreibungstradition für die Fähigkeit von Systemen, an Herausforderungen zu wachsen, besser zu werden. Der Blick richtet sich meist auf die negative Abweichung, das Fehlerhafte, das Fragile.
Das gilt gerade auch für die Medizin. Sie schaut auf das Kranke, nicht auf die Fähigkeit, gesund zu werden, kritisiert Tobias Esch, einer der führenden Vertreter der Mind-Body-Medizin. Im Interview erläutert er, wie die neuere wissenschaftliche Forschung mehr und mehr Belege für die Fähigkeit zur Selbstheilung erbringt. Und erklärt, wie man sich in die Lage versetzt, gesünder zu werden, widerstandsfähiger, robuster. Die integrative Medizin, für die Esch steht, bietet zugleich ein Modell, wie sich die extreme und ausschließende Spezialisierung in den Wissenschaften überbrücken lässt. Entsprechend lang ist das Interview geworden. Ein Lesestück fürs Wochenende.
Die Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Bereiche, die je ihren Eigenlogiken folgen, ist auch das Thema des Buches von Armin Nassehi, das kürzlich in einer Neuausgabe erschienen ist. Der Münchner Soziologe stellt scharf und rückt, dezidierter noch als in der ersten Ausgabe, Komplexität in den Mittelpunkt des Verständnisses moderner Gesellschaften. Nassehi arbeitet heraus, wo die entscheidende Herausforderung liegt: in der Übersetzung zwischen den Eigenlogiken, im Einüben von Perspektivendifferenz.
Eine inspirierende Lektüre wünscht
Winfried Kretschmer
Chefredakteur
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Diese Woche neu im Magazin |
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Schauen auf das Gesunde |
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"Wir haben verstanden, dass es ein in uns wohnendes Potenzial zur Selbstheilung gibt" - ein Gespräch mit Tobias Esch |
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Wenn Placebos wirken, auch wenn "Placebo" draufsteht, ist das ein medizinisches Rätsel. Mehr noch, als es der Placeboeffekt ohnehin schon ist. Aber könnte es sein, dass die etablierte Medizin unter dem Begriff "Placebo" wegdefiniert hat, was nicht in ihr auf Krankheit fixiertes Konzept passt: die Fähigkeit zur Selbstheilung? Genau das legen neuere Forschungsergebnisse der Mind-Body-Medizin nahe. Und bietet mit ihrem integrativen und interdisziplinären Ansatz zugleich ein Modell, wie sich extreme, selektive Spezialisierung in den Wissenschaften überbrücken lässt.
30.06.2017
zum Interview
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Kein Ort, nirgends |
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Die letzte Stunde der Wahrheit - Armin Nassehis grundlegendes Werk über Komplexität in Neuausgabe |
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Was zeichnet unsere Gesellschaft heute aus? Was ist das bestimmende, das kennzeichnende Moment? Ein Soziologe stellt scharf. Und sagt: ihre Komplexität. Oder anders gesagt: die Vielfalt und Differenz der Perspektiven. In der modernen Gesellschaft gibt es keinen Ort mehr, von dem aus man sie konkurrenzlos und gültig beschreiben oder auf sie zugreifen könnte. Es haben sich unterschiedliche Bereiche mit je eigener Logik und Perspektive ausdifferenziert, die sich zunehmend an sich selbst orientieren. Das ist die Erfolgsformel der modernen Gesellschaft, zugleich aber ihre zentrale Herausforderung: Will sie den Zusammenhalt wahren, muss sie den Umgang mit unterschiedlichen, differierenden Perspektiven einüben.
30.06.2017
zur Rezension
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Zitat |
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"Obwohl die moderne Medizin die Selbstheilungskräfte lange ignoriert beziehungsweise als Placeboeffekt wegdefiniert hat, sind wir heute an einem Punkt angelangt, wo man feststellen kann: Sie existieren."
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Tobias Esch: Schauen auf das Gesunde
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"Gesellschaft ist eigentlich nichts anderes als die Erfahrung, dass gleichzeitig Unterschiedliches geradezu unkoordiniert geschieht."
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Armin Nassehi: Die letzte Stunde der Wahrheit
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