Zweite Liste 2017
Unser Buchstreifzug durch die aktuellen Verlagsprogramme im Frühjahr 2017
Hier unsere zweite Bücherliste. Mit wiederum elf Kurzkritiken aus den Wirtschafts- und Sachbuchprogrammen der Verlage im Frühjahr 2017 - querbeet durch Themen und Disziplinen. Sortiert nach subjektiv bewerteter Wichtigkeit. Bitteschön. Auswahl und Texte: Winfried Kretschmer, Anja Dilk (ad)
Edward D. Hess, Katherine Ludwig:
Humility Is the New Smart.
Rethinking Human Excellence in the Smart Machine Age.
Berrett-Koehler, Oakland 2017, 224 Seiten, 25.99 Euro, ISBN 978-1-626568754
Mehr als die Hälfte der bestehenden Arbeitsplätze seien durch Maschinen bedroht. Das ist in etwa Konsens in der Folgenabschätzung von Digitalisierung und Automatisierung. Konsens ist auch das Rezept, mit dem sich der Mensch vor den Auswirkungen der neuen Technisierungswelle schützen könne. Wir müssten nur auf unsere Kernfähigkeiten setzen: Kreativität, Innovation, kritisches Denken sowie Empathie und Zusammenarbeit. Nicht zuletzt hier würden zahlreiche neue Jobs entstehen. Alles doch nicht so wild also? Zwei US-Wissenschaftler verweisen nun auf einen entscheidenden Denkfehler bei diesem Argument. Es ist schon richtig, dass dies die Eigenschaften sind, die uns von Maschinen unterscheiden. Aber wir sind nicht wirklich gut darin. Im Gegenteil: Psychologie und Verhaltensökonomie haben schonungslos offengelegt, wie sehr unsere Wahrnehmung trügt, wie sehr Egoismus und Konkurrenzdenken wirkliche Zusammenarbeit verhindern, wie Ängste und Eitelkeiten uns in unsrem Potenzial beschränken. Die smarten Maschinen hingegen "will have no biases … no egos, no emotional defensiveness, and no fears of making mistakes or looking stupid or not being liked", schreiben Edward D. Hess und Katherine Ludwig. Es gibt nur einen Weg: "We need to improve." Wir müssen besser werden. Im Denken, im Zuhören, in der Gestaltung von Beziehungen, in der Zusammenarbeit mit anderen. Um so unser höchstes Potenzial in Arbeit und Leben zu entfalten. Ein Begriff ist zentral in diesem Ansatz: Humility - Demut, Bescheidenheit: "Humility is a mindset that results in not being so self-centered, ego defensive, self-enhancing, self-promotional, and closed-minded" - alles Eigenschaften, die nach Erkenntnissen der Lern- und Kognitionswissenschaften das Streben nach Exzellenz behindern: "excellence at higher-order thinking and emotionally engaging with others". Raus aus Angststarre und Kleindenken also - dieses Buch weist den Weg: Es geht um einen Shift im Mindset. Das Buch bündelt vorhandene Diskursstränge und bezieht sie auf die Herausforderung des zweiten Maschinenzeitalters. Ein furioser Weckruf.
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Johann Brandstetter, Josef H. Reichholf:
Symbiosen.
Das erstaunliche Miteinander in der Natur.
Verlag Matthes & Seitz, Reihe Naturkunden 35, Berlin 2017, 298 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, 38 Euro (D), ISBN 978-3-95757-366-7
Survival of the fittest. So haben wir das gelernt, damals im Biologieunterricht: Die am besten angepassten Individuen überleben im Kampf ums Dasein. Geprägt hat den Begriff der britische Sozialphilosoph Herbert Spencer. Charles Darwin hat ihn erst auf Kritik an seiner Idee der "Natural Selection" hin in seine Evolutionstheorie übernommen. Mit Folgen. Survival of the fittest verschob den Fokus von der Selektion als natürlichem Auswahlmechanismus aufs Überleben, auf Durchsetzung, auf Konkurrenz. Und fand als Kampfmetapher Eingang in gesellschaftliche Ideologien sozialdarwinistischer und faschistischer Prägung. Mehr und mehr zeigt sich heute jedoch, dass das Konkurrenzmodell irreführend ist. In neuerer Zeit erst sei klar geworden, dass es ein verbindendes Prinzip zwischen der Sphäre der Natur und der vom Menschen geprägten Sphäre von Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur gibt: ein Prinzip, "das den Darwin’schen ‚Kampf ums Dasein‘, die Konkurrenz, relativiert. Es ist die Kooperation." Schreibt der Biologe Josef H. Reichholf, der zusammen mit dem Künstler und Illustrator Johann Brandstetter ein wunderbares Buch zum Thema herausgebracht hat: Symbiosen. "Dieses Prinzip, das Zusammenleben unterschiedlicher Organismen zu beiderseitigem Nutzen, durchzieht das ganze Leben bis zum Menschen." Es machte genau genommen Pflanzen, Tiere und auch den Menschen erst möglich. In einer fundierten Einleitung und 30 Beispielen machen die Autoren (in einer ihrerseits symbiotischen Zusammenarbeit) deutlich, wie grundlegend dieses "Lebensprinzip" ist - und zugleich wie fragil und zerbrechlich. Immer droht ein Absturz in Ausbeutung und Parasitismus - immer dann, wenn das austarierte Gleichgewicht von Geben und Nehmen und wechselseitigem Nutzen gestört wird. Faszinierend zu lesen.
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Julian Nida-Rümelin:
Über Grenzen denken.
Eine Ethik der Migration.
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2017, 248 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-89684-195-7
Gegensätzlicher könnten die Positionen nicht sein. Die einen fordern Zäune und Mauern, die anderen treten ein für ein Recht auf globale Freizügigkeit und plädieren für die bedingungslose Aufnahme von Geflüchteten als moralische Pflicht. Wie sich entscheiden? Wer sich nicht fundamentalistisch der einen oder anderen Extremposition zugesellt, wer es sich also nicht einfach machen will, sieht sich mit einem Dickicht an Fragen konfrontiert, die von der ganz handlungspraktischen Ebene bis hin zu Themen globaler Gerechtigkeit reichen, aber alle für die eigene Entscheidung eine Rolle spielen. Da ist Orientierung gefragt. Julian Nida-Rümelin, Ex-Staatsminister und Philosoph, hat nun sein Buch Über Grenzen denken vorgelegt. Ein Buch, das dies leisten kann, aber auch Kontroversen stiften wird. "Ein wohlbegründetes Urteil liegt häufig quer zu den üblichen Fronten der öffentlichen Debatte", warnt der Autor eingangs. Zu Recht. Denn er kommt zu einem, auf den ersten Blick vielleicht überraschenden zentralen Argument. Er spricht sich nämlich aus kosmopolitischen und humanitären Erwägungen gegen eine Politik der offenen Grenzen aus. "Die Aufnahme von Armutsflüchtlingen aus dem globalen Süden in den reichen Ländern des globalen Nordens … ist kein vernünftiger Beitrag zur Bekämpfung von Weltarmut und Elend." Diese These formuliert der Autor in Form von sieben ethischen Postulaten für die Migrationspolitik weiter aus - wohldurchdacht und zweifellos beachtenswert. Das Buch bietet aber mehr. Es beinhaltet eine Kurzeinführung der kohärentistischen Ethik, die Nida-Rümelin in den vergangenen Jahren ausformuliert hat. Sie wendet sich gegen aus fundamentalen Postulaten abgeleitete ethische Theorien - insbesondere gegen die utilitaristische Ethik des derzeit so populären Effektiven Altruismus. Demgegenüber setzt der Autor auf die Abwägung normativer Gründe. Denn meist gibt es eine Vielzahl praktischer Gründe, die unsere Entscheidung und unser Handeln leiten, nicht nur ein grundlegendes Prinzip. "Die Sachverhalte sind komplex, sie erfordern ethische Urteilskraft." Diese ethische Urteilskraft gilt es zu stärken, zu fördern, zu entwickeln. Ein tolles Buch, bemerkenswert klar und trotz der diffizilen Thematik verständlich geschrieben. Lesen!
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Thomas Straubhaar:
Radikal gerecht.
Wie das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert.
edition Körber-Stiftung, Hamburg 2017, 248 Seiten, 12.99 Euro, ISBN 978-3-89684-194-0
Der Ökonom Thomas Straubhaar hat ein großartiges Buch zum Thema Grundeinkommen geschrieben: sehr durchdacht und bemerkenswert klar geschrieben. Man könnte ja denken, hierzu sei eigentlich alles gesagt, die Argumente seien festgeklopft. Weit gefehlt. Straubhaar gewinnt dem Thema neue Perspektiven ab. Das hat zum einen damit zu tun, dass die beschleunigten technologischen Fortschritte bei der Roboterisierung und Automatisierung und der damit wohl unausweichliche massive Verlust von Arbeitsplätzen die gesellschaftliche Verteilung aus automatisierter Arbeit erzielter Erlöse mit Vehemenz auf die Agenda setzen. Straubhaar hat da einen klaren Vorschlag: "Nicht Roboter besteuern, sondern deren Besitzer - das ist die beste Antwort auf den Angriff der Automaten auf menschliche Arbeitsplätze." Zum anderen blieb die Finanzierung eines Grundeinkommens bislang eher undurchsichtig. Auch hier hat Straubhaar einen durchdachten Vorschlag. Er verknüpft die Grundsicherung mit einer radikalen Steuerreform: Er greift die Idee einer negativen Einkommensteuer auf, die der Ökonom Milton Friedman Anfang der 1960er-Jahre als Grundsicherung vorgeschlagen hatte. So gesehen ist das Grundeinkommen nichts anderes als ein Steuertransfersystem: "Das Grundeinkommen ist im Kern eine große Steuerreform", sagt Straubhaar. Und es ist "das zeitgemäße sozialpolitische Konzept für die digitale Welt des 21. Jahrhunderts": radikal gerecht, aber eben auch liberal und effektiv. Wie gesagt: großartig!
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Börries Hornemann, Armin Steuernagel (Hg.):
Sozialrevolution!.
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2017, 209 Seiten, 19.95 Euro (D), ISBN 978-3-593506821
Es braucht wohl die geballte Macht der Roboter, um eine Einsicht anzuschieben, die sonst nicht so richtig vorankommt: dass unsere Sozialsysteme, die in der Zeit der Industrialisierung erdacht und aufgebaut worden sind, für die nachindustrielle Ära nicht taugen. Wir erleben heute, wie sich technischer Fortschritt von menschlicher Arbeit entkoppelt. Die Technik braucht den Menschen nicht mehr, um ihre produktiven Aufgaben zu erfüllen. Es treffen zwei sich beschleunigende Entwicklungen aufeinander, so die Herausgeber Börries Hornemann und Armin Steuernagel: "Die Maschinen nehmen uns die Arbeit ab und die verbleibende Arbeit wird zunehmend flexibilisiert." Zweischneidig ist auch das Ergebnis: "Diese technologische Revolution verhilft uns zu nie geahntem Wohlstand, zugleich wirft sie die Fundamente unserer Lebens- und Arbeitswelt um." Unser Sozialsystem ist dieser Veränderung nicht gewachsen. Die These des Buches: Es braucht eine Sozialrevolution, die die sozialen Sicherungssysteme und unser soziales Miteinander grundsätzlich neu denkt und gestaltet. "Die digitale Revolution führt ohne Sozialrevolution ins Chaos." Die Herausgeber haben prominente internationale Autoren hinzugezogen, um diese These zu untermauern. Die Beiträge spannen einen weiten thematischen Bogen von der Geschichte der Sozialsysteme über die neue Dimension des technologischen Fortschritt bis hin zu den neuen Folgen, die er aufwirft, und den neuen Antworten, die er nahelegt. Das Buch bietet somit einen hervorragenden Einstieg in das Thema. Es sollte gelesen haben, wer im beginnenden Wahlkampf zu sozialen Fragen den Mund aufmacht.
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Henning Beck:
Irren ist nützlich.
Warum die Schwächen des Gehirns unsere Stärken sind.
Hanser Verlag, München 2017, 320 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-446-25499-2
Es ist offensichtlich: Die weiche Masse in unserem Kopf ist ein etwa 1,5 Kilo schwerer Fehler. Wir vergessen bis hin zur dramatischen Schusseligkeit, unter Druck fällt uns nichts Neues ein, wir lassen uns von vorbeifahrenden Autos oder aufpoppenden Snapchat-Nachrichten ablenken, verrechnen uns permanent, vergessen, was wir gerade gelesen haben, erinnern uns an Dinge, die wir nie erlebt haben, und scheitern gar an einfachen Wörterlisten. Das Gehirn, ein Desaster, könnte man meinen. Ein "etwa 1,5 Kilo schwerer Fehler". Hennig Beck belehrt uns eines Besseren. Der Neurobiologe und Science Slammer zeigt, was die Hirnforschung zutage gefördert hat: In Wahrheit sind die Schwächen des Gehirns unser Kapital. Nur durch seine Irrtümer sind wir kreativ. Nur durch seine Fehler können wir die Welt verstehen. Denn es sind genau jene vermeintlichen Schwächen und Ungenauigkeiten, die das Gehirn so anpassungsfähig, dynamisch, kreativ und damit letztlich jedem Computer überlegen machen: "Gerade weil ein Gehirn so schlecht darin ist, Dinge akkurat zu speichern, kann es überhaupt neues Wissen erzeugen." Ein tolles, lockerleichtes Buch, das uns uns selbst besser verstehen lässt. (ad)
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Sven C. Voelpel, Fabiola H. Gerpott:
Der Positiv-Effekt.
Mit einer Umstellung der Einstellung das Management revolutionieren.
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2017, 216 Seiten, 34.95 Euro (D), ISBN 978-3-593506661
Management ist, anderen Menschen zu sagen, was sie tun sollen. Das ist das Managementparadigma seit Frederick Winslow Taylor. Die Grundhaltung ist der Blick aufs Negative, auf Defizite, auf das, was andere nicht können oder falsch machen. Wenn Management sich ändern will, wenn ein anderes Management möglich werden soll, muss das mit einer Veränderung dieser Grundhaltung beginnen. Das ist auch der Ansatz von Sven C. Voelpel und Fabiola H. Gerpott. Sie wollen mit einer veränderten inneren Haltung Management nachhaltig revolutionieren und berufen sich dabei auf Forschungsergebnisse, die belegen, "dass die Einstellung von Menschen - also das, was sie für wahr und wichtig halten - einen Einfluss auf das Ergebnis hat". Das nennen die Autoren den "Positiv-Effekt". Es geht um die Gestaltungskraft der positiven Psychologie, um "eine Veränderung der inneren Einstellung zu den Dingen". In der Tat, das ist der Punkt. Und die Konsequenz? Voelpel und Gerpott rufen dazu auf, "die Managementrevolution einzuleiten". Die wird es dann auch brauchen, um die Beharrungskräfte des alten Managementansatzes zu überwinden. Denn erstens hat es Management immer verstanden, Kritik zu assimilieren, neue Impulse aufzunehmen und sie mit dem eigenen Paradigma kompatibel zu machen. Zum anderen bedeutet Management, oft ausgeblendet, Macht auszuüben. In Form von Weisung und Kontrolle. Und bekanntlich ist es süß, Macht zu pflegen, aber bitter, sich ihrer zu entwöhnen. Management müsste also in mehrerlei Hinsicht über den eigenen Schatten springen.
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Christian Ramsauer, Detlef Kayser, Christoph Schmitz (Hg.):
Erfolgsfaktor Agilität.
Chancen für Unternehmen in einem volatilen Marktumfeld.
Wiley-VCH, Weinheim und Basel 2017, 297 Seiten, 39.99 Euro (D), ISBN 978-3-527-50901-0
"Erfolgsfaktor", "Wettbewerbsvorteile", "Stellhebel", "Steuerungsmodelle", "profitabel", "quantifizierbar" - wenn die Begrifflichkeit wissenschaftlicher Betriebsführung nun ins Feld agiler Organisation hereinschwappt, ist Vorsicht geboten. Denn die Managementlehre ist gut darin, neue Ansätze in ihren Methodenkanon zu integrieren - und diese dabei auf ihre instrumentelle Funktion zurechtzustutzen. Dann bleibt oft nur der Begriff als weitgehend sinnentleerte Worthülse. Managementsprech eben. So schrillen bei dem neuen Buch Erfolgsfaktor Agilität, dessen Inhaltsverzeichnis die einleitenden Begriffe entnommen sind, zunächst die Alarmglocken. Doch Entwarnung: Das Buch ist der ambitionierte wie gelungene Versuch, das Konzept Agilität auf wissenschaftlicher Grundlage in die Betriebswirtschaftslehre einzuführen. Fündig wird in diesem Buch vor allem, wer sich dafür interessiert, wie Agilität sich in die Unternehmensorganisation einfügt und was sie von anderen Konzepten wie Flexibilität, Resilienz, Robustheit oder Lean Management unterscheidet. Die Autoren greifen den anregenden Gedanken auf, die Kerneigenschaften agiler Organisationen als "Atmungsfähigkeit" und "Anpassungsfähigkeit" zu beschreiben. Anregend ist auch der Vorschlag, an der Seite des CEO einen Chief Agility Officer (CAO) zu installieren. Denn: "Um Agilität ganzheitlich im Unternehmen zu verankern, muss diese ... in der Struktur der obersten Führungsebene repräsentiert sein." Die zentrale These des Buches: Wenn Unsicherheit zur neuen Normalität wird, ist schnelle Anpassungsfähigkeit unabdingbar: "In einem unsicheren Marktumfeld wird Agilität zum Erfolgsfaktor."
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Anthony O. Scott:
Kritik üben.
Die Kunst des feinen Urteils.
Carl Hanser Verlag, München 2017, 320 Seiten, 22 Euro (D), ISBN 978-3-446254671
Kritik zu üben scheint einfach. Doch dies respektvoll zu tun und zu einem begründeten, differenzierten Urteil zu kommen, ist alles andere als leicht. Dafür finden sich zahllose Belege, im Arbeitskontext ebenso wie in Schule, Ausbildung und in Diskussionsforen im Web. Ein Buch, das lehrt, Kritik zu üben, ist also willkommen. Nur sind die Dinge oft nicht so einfach zu haben. Statt Kritik üben wäre der Titel des vorliegenden Buches mit Über Kritik präziser formuliert. Geht es darin doch vor allem um die journalistische Form der Kritik, für die Anthony O. Scott bei der New York Times mitverantwortlich zeichnet; er ist dort zuständig für Filmkritik. So ist sein Buch (zunächst) keine Anleitung zum Einüben von Kritik, sondern eine Abhandlung über den Beruf und die Arbeit des Kritikers. Es ist "ein Buch zur Verteidigung des Denkens", eine Einführung in die Kunst des sensiblen und differenzierten Urteils. Und somit auch ein Aufruf, die - in diesem Fall ästhetische - Urteilskraft zu stärken. So plädiert Scott dafür, die Kritik als eine Kunst zu betrachten und einzuüben. Das vermittelt er jedoch nicht in schnöder Ratgebermanier. Sondern in Form einer Reflexion über Kritik als Kunst des feinen und wohlbegründeten Urteils. Verallgemeinerungsfähig.
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Gunter Dueck:
Flachsinn.
Ich habe Hirn, ich will hier raus.
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2017, 262 Seiten, 24.95 Euro (D), ISBN 978-3-593505176
Bei Büchern ist ja immer die große Frage, ob drinsteht, was draufsteht. "Flachsinn", das sei für alle gesagt, denen sich die Ironie des Buchcovers nicht so recht erschließen will, ist jedoch kein Hinweis auf den Inhalt des Buches. Spaß beiseite. Andersherum: Gunter Dueck ist sauer. Wütend. Wie viele ist er fassungslos darüber, was aus dem einst so hoffnungsvoll begrüßten Medium Internet geworden ist. Dueck: "Flachsinn für Flachsinnige." Flachsinn nennt Dueck "all das kalkuliert Flache, Sensationelle, Emotionale, Scharfmachende, Niederziehende, Hetzende, Übertreibende, Lärmende und Verführende zum Zweck der Aufmerksamkeitsverwertung". In all dem überschäumenden Aufmerksamkeitsgeheische in Web und Social Media sei die Besonnenheit untergegangen, so Dueck. Doch was tun? Es brauche "eine Art neuer Intelligenz", fordert Dueck, "eine neue Kultur des Tiefsinns". Man könnte auch sagen: eine neue, eine zweite Aufklärung.
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Timo Hinrichsen, Boris Palluch:
Wenn mein Chef Chef spielt.
Ein Survival-Guide für Angestellte.
Linde Verlag, Wien 2017, 192 Seiten, 19.90 Euro (D), ISBN 978-3-709305942
Sich den Chef als Affen im Anzug vorzustellen, das taugt bestens als Lachnummer in der Kaffeeküche. Insofern dürfte dieses Buch, verstohlen in der Kaffeepause oder unter dem Tisch vorgezeigt, seine Wirkung nicht verfehlen. Es folgt der üblichen Personalisierungsmasche: der Chef, das Scheusal. Als Survival-Guide für Angestellte will es zeigen, wie Mitarbeiter Launen, unfaire Taktik und Schwächen ihres Chefs in den Griff bekommen. Will in der Hierarchie das Überleben sichern. Selbstverständlich ist es wichtig und richtig, handlungsfähig zu bleiben, sich Freiräume zu verschaffen und Felder für selbstverantwortliches Handeln zu erschließen. Aber mal ehrlich: Wer glaubt, diesen Ratgeber nötig zu haben, sollte sich vielleicht besser einen anderen Job suchen.
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