Künstliches Denken
Unser sechster Buchstreifzug durch die aktuellen Verlagsprogramme
Welches sind die wichtigen Themen der Zeit? Wo zeichnen sich neue Gedanken, Ideen, Konzepte ab? Dazu hält unsere Buchauswahl einige Lektüreanregungen bereit: Hier unsere sechste Bücherliste mit wiederum elf Kurzrezensionen aktueller Titel aus den Wirtschafts- und Sachbuchprogrammen der Verlage - querbeet durch Themen und Disziplinen. Auswahl und Kurzrezensionen: Winfried Kretschmer
Max Tegmark:
Leben 3.0.
Mensch sein im Zeitalter Künstlicher Intelligenz, aus dem Amerikanischen übersetzt von Hubert Mania.
Ullstein Buchverlage, Berlin 2017, 528 Seiten, 26 Euro (D), ISBN 978-3-550081453
Bei wie viel Punkt null von was sind wir denn eigentlich? Seit dem Web 2.0 hat uns die der Software entlehnte Versionsnummern-Manie fest im Griff. Aber seien wir ehrlich: Man kann dieses Irgendwaspunktnull nicht mehr hören. Und jetzt Leben 3.0? Dieser Titel allerdings hat es in sich. Lässt Gänsehaut entstehen. Denn Max Tegmark, Professor am MIT und Spezialist für künstliche Intelligenz, plädiert dafür, die Definition von Leben nicht auf die Spezies zu beschränken, denen wir bislang begegnet sind. Sondern Leben sehr grundlegend als einen Prozess zu begreifen, der seine Komplexität bewahren und sich reproduzieren kann. Was dabei reproduziert wird, ist nicht Materie, sondern Information. Und was sich reproduziert, kann auch Technologie sein. Leben 1.0 ist demnach Leben, "in dem sich sowohl Hardware als auch Software herausbilden, anstatt gestaltet zu werden". Einfaches, biologisches Leben also. Leben 2.0 ist dann "Leben, dessen Hardware sich entwickelt hat, dessen Software aber größtenteils entworfen wurde" - Sprache, Schrift, Kultur ganz allgemein. Leben 3.0 ist dann in der Lage, nicht nur seine Software, sondern auch seine Hardware selbst zu gestalten. "Es wird sein eigenes Schicksal meistern und endlich vollständig von seinen evolutionären Fesseln befreit sein", sagt Tegmark. Das ist die technologische Stufe, basierend auf künstlicher, also nichtbiologischer Intelligenz. Leben 2.0 hat die Oberhand auf unserer Erde gewonnen. Doch was ist, wenn nun Leben 3.0 die Oberhand gewinnt? Das visionäre Buch von Max Tegmark denkt weit in die Zukunft voraus und beschreibt zugleich eindringlich die Bemühungen um eine Sicherheitsforschung für künstliche Intelligenz. Tegmarks Haltung ist eindeutig: "Falls es uns gelingt, eine harmonischere menschliche Gesellschaft zu schaffen, die durch Kooperation für gemeinsame Ziele charakterisiert ist, wird das die Aussichten für einen guten Ausgang der KI-Revolution verbessern." Sein Buch ist ein engagierter Aufruf, sich einzumischen und mitzudiskutieren.
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Andreas Reckwitz:
Die Gesellschaft der Singularitäten.
Zum Strukturwandel der Moderne.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017, 480 Seiten, 28 Euro (D), ISBN 978-3-518-58706-5
Was ist mit unseren Gesellschaften los? Wie lassen sich die Verwerfungen und Verunsicherungen unserer Zeit erklären? Andreas Reckwitz hat eine Antwort, und er formuliert sie mit dem Anspruch einer Gesellschaftstheorie. Seine Argumentation geht so: Im Grunde wird der Übergang zur postindustriellen Gesellschaft, den die Soziologen Alain Touraine und Daniel Bell schon Anfang der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts proklamiert hatten, erst jetzt in den Gesellschaften spürbar. Und er vollzieht sich als ein Übergang vom Allgemeinen zum Besonderen. Wir erleben den Eintritt in die Gesellschaft der Singularitäten. Vom Allgemeinen zum Besonderen, das spiegelt sich in den industriellen Produkten, die keine Massenprodukte mehr sind, sondern höchst individualisierte Erzeugnisse. Und es spiegelt sich im Leben der Menschen, für die das Einzigartige, Unverwechselbare zur Richtschnur und zum Lebensziel geworden ist. In dieses Konzept der Singularisierung fügt sich somit auch die Individualisierung ein, die Ulrich Beck als "Pluralisierung von Lebensstilen" beschrieben hatte. Der Ansatz von Reckwitz ist aber weiter. Er umfasst nicht nur die Ebene der Individuen, sondern die Entwicklung der gesamten Gesellschaft. Offen allerdings bleibt die Frage, wie sich eine singularisierte Gesellschaft in Zukunft zusammenhalten lässt. Reckwitz hat darauf keine Antwort. Sein Buch endet mit einer Aufzählung von Krisen, die diese Gesellschaft hervorzubringen droht. Und ganz am Ende findet sich ein Hinweis, was unsere tradierte Vorstellung von Gesellschaft heute sei: pure Nostalgie.
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Thomas Ramge, Viktor Mayer-Schönberger:
Das Digital.
Markt, Wertschöpfung und Gerechtigkeit im Datenkapitalismus.
Econ Verlag, Berlin 2017, 304 Seiten, 25 Euro (D), ISBN 978-3-430202336
Was für ein Titel! Und was für eine These: Digitale Daten sind heute, was Kapital im entstehenden Industriekapitalismus war: eine Veränderung der Spielregeln, die eine neue Form des Wirtschaftens hervorbringt. Das ist die Kernaussage dieses Buches: "Der Markt kann endlich sein volles Potenzial entfalten." Datenreiche Märkte erlauben es uns, bessere Entscheidungen zu treffen. Und sie werden "die Rolle verändern, die Märkte und Geld spielen". Sie werden einen traditionellen, geldbasierten Markt nach dem anderen ablösen und damit den Kapitalismus, wie wir ihn kennen, grundlegend verändern. "Statt Kapital und Firmen erschaffen wir datenreiche Märkte, die Menschen ermächtigen, besser miteinander zu wirtschaften." Das ist die Vision dieses Buches, das auch gleich Vorschläge liefert, wie sich dieser Übergang regulativ gestalten lässt. Damit nicht einige wenige Monopolisten den neuen, datengenerierten Mehrwert abschöpfen. Zwei Instrumente verdienen Beachtung: zum einen das Modell einer Pflicht zum Datensharing - Unternehmen sollten entsprechend ihrer Marktmacht verpflichtet werden, ihre Daten zu teilen, diese also Öffentlichkeit und anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Gewissermaßen "eine in Daten erhobene Steuer". Zum anderen schlagen die Autoren vor, (statt der viel diskutierten Robotersteuer) einen Steuerrabatt auf menschliche Mitarbeiter einzuführen. Vor allem aber wendet sich dieses Buch gegen die Konzentration der Debatte auf die Maschinen. Es ist die Vision einer zutiefst menschlichen Wirtschaft.
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François Jullien:
Es gibt keine kulturelle Identität.
Wir verteidigen die Ressourcen einer Kultur, aus dem Französischen von Erwin Landrichter.
edition suhrkamp 2718, Berlin 2017, 80 Seiten, 10 Euro (D), ISBN 978-3-518-12718-6
Die Forderung nach einer kulturellen Identität hat heute überall Konjunktur. Populistische und nationalistische Strömungen beschwören sie als Schutzwall gegen Uniformierung und Globalisierung. Der französische Philosoph und Sinologe François Jullien hält dem entgegen: Es gibt keine kulturelle Identität. Das Wesen der Kultur, so Jullien, ist die Veränderung. Wie eine Sprache tot ist, die sich nicht mehr verändert, so gilt Gleiches auch für die Kultur. Das Problem, sagt Jullien, liegt in der Verwendung der falschen Konzepte. Identität betont die Differenz - dem hält der Philosoph das Konzept des Abstands entgegen: "Anstatt die Verschiedenheit der Kulturen als Differenz zu beschreiben, sollten wir uns ihr mit Hilfe des Konzepts des Abstands nähern, wir sollten sie nicht im Sinne von Identität, sondern im Sinn einer Ressource … verstehen." Differenz fragt: Was trennt uns? Abstand fragt: Wie weit liegen wir auseinander? Der Abstand erzeugt eine Spannung, eröffnet ein Zwischen, "in dem ein neues Gemeinsames entsteht": ein Zwischen des Zwiegesprächs, des Dialogs. Ein Zwischen, "in dem sich das Denken an die Arbeit macht". Das ist einfach wunderbar gedacht! Der Abstand, das Dazwischen, das Eröffnen eines Dialogs, das sind Konzepte, die sich weit über das Thema der kulturellen Identität hinaus fruchtbar machen lassen. Für Verständigung gleich wo.
Idee: Konzept des Abstands
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Kelly Weinersmith, Zach Weinersmith:
Bald!.
10 revolutionäre Technologien, mit denen alles gut wird oder komplett den Bach runtergeht, aus dem Englischen übersetzt von Thomas Pfeiffer und Sigrid Schmid.
Hanser Verlag, München 2017, 22 Euro (D), ISBN 978-3-446-25676-7
Was wird die Zukunft bringen? Welche Technologien werden sich durchsetzen, welche nicht? Glaubt man den in sozialen Medien kursierenden Videos, dann ist eine Zukunft nicht fern, in der unsere Häuser von gigantischen 3-D-Druckern gedruckt werden, in der Flugtaxis uns in die Städte bringen und autonome Roboter die Hausarbeit erledigen. Doch wie weit ist die Entwicklung wirklich? Was kommt vielleicht schon bald? Bald ist der Titel eines Buches, das genau diesen Fragen nachgeht. Zach und Kelly Weinersmith, er Blogbetreiber und Wissenschaftsjournalist, sie promovierte Biologin und Forscherin, haben zehn neu entstehende Fachbereiche näher ergründet - vom Weltall über neue Kraftwerke, neue Konstruktionsmethoden bis hin zum menschlichen Körper und dem zugehörigen Gehirn. In locker-flapsig-ironischem Stil, aber basierend auf fundierten Recherchen, arbeiten die beiden heraus, was der Stand der Dinge ist (dass es etwa gar nicht so einfach ist, einem Roboter das Maurerhandwerk nahezubringen), wo Bedenken liegen und wie die jeweilige Technologie die Welt verändern würde. Wenn sie denn zum Einsatz käme. Was gar nicht so gewiss ist. Denn die technische Entwicklung ist geprägt von Zufällen und reich an Umwegen und Sackgassen. Dass die technologische Entwicklung eben nicht so geradlinig verläuft, wie es im Rückblick erscheinen mag (und deren Vertreter jeweils glauben machen wollen), ist vielleicht eine der wichtigsten Erkenntnisse dieses Buches. Denn umgedreht heißt das: Die technologische Entwicklung ist gestaltbar, sie verläuft nicht zwangsläufig.
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Sheryl Sandberg, Adam Grant:
Option B.
Wie wir durch Resilienz Schicksalsschläge überwinden und Freude am Leben finden.
Ullstein Buchverlage, Berlin 2017, 288 Seiten, 20 Euro (D), ISBN 978-3-550081866
Nach dem plötzlichen Tod von Sheryl Sandbergs Ehemann half ihr Adam Grant, die Trauer zu überwinden. Daraus entstand ein gemeinsames Buch. Sandberg, COO bei Facebook und Autorin des Bestsellers Lean In, schildert in ihrem neuen Buch, wie sie gegen ihre Trauer ankämpfte und zurück ins Leben fand, Adam Grant, Psychologieprofessor an der Wharton Business School und ebenfalls Bestsellerautor, reflektiert ihre Geschichte anhand der aktuellen Forschungslage zum Thema Resilienz. Sandberg ist Ich-Erzählerin, Grant Beobachter, der nicht als Autor in Erscheinung tritt, sondern die Essenz der wissenschaftlichen Forschung kondensiert in den Text einfließen lässt. Vom Leser verlangt das, sich auf Sandbergs Geschichte einzulassen und ihre Trauer mit ihr zu teilen. So entwickelt das Buch plastisch, anschaulich und tief emotional eine großartige Botschaft: Resilienz ist nicht etwas, das man hat oder nicht, sondern sie lässt sich entwickeln. Das steckt schon in der Definition, die die Autoren anbieten: "Resilienz bezeichnet die Stärke und Geschwindigkeit, mit der wir auf widrige Umstände reagieren - und das lässt sich ausbauen." Es gibt nicht nur posttraumatischen Stress, sondern auch posttraumatisches Wachstum. "Eine Tragödie muss nicht persönlich, allumfassend oder permanent sein, aber die Resilienz kann es. Wir können sie aufbauen, und dann geleitet sie uns durchs Leben."
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Lars Vollmer:
Wie sich Menschen organisieren, wenn ihnen keiner sagt, was sie tun sollen.
intrinsify.me Verlag, Berlin 2017, 84 Seiten, 15 Euro (D), ISBN 978-3-981918007
In seinem letzten Buch hat Lars Vollmer behauptet, dass in den meisten Organisationen, seien es Unternehmen, Behörden, Medien- und Krankenhäuser oder Stiftungen, zu wenig gearbeitet wird. Das liege "an dem ganzen Theater namens Management, das die Leute ständig von der Arbeit abhält und sie dazu drängelt, in den Nischen zwischen all den Meetings, Reports, ritualisierten Mitarbeitergesprächen und Exel-Sheet-Basteleien die eigentliche Arbeit zu leisten". Das war eine steile These, mit der Vollmer Aufsehen erregt hat. Nun legt er nach. Sein neues Büchlein widmet sich der Frage, wie sich Menschen organisieren, wenn ihnen keiner sagt, was sie tun sollen. Zweifellos eine sehr gute Frage. Ihr geht Lars Vollmer in siebeneinhalb Kapiteln nach, denen jeweils ein klarer Gedanke zugrunde liegt. Beispiel: "Ohne Ämter entstehen Engagement und Verantwortung." Vollmer ist jedoch kein uneingeschränkter Verfechter einer nicht hierarchischen, machtfreien Organisation. Er sagt, es kommt drauf an. Auf die Voraussetzungen und auf die zu lösenden Probleme. Aber weil die zunehmend nicht mehr nur kompliziert, sondern komplex sind und komplexer werden, neigt sich die Waagschale hin zur Selbstorganisation. Vollmer erkennt aber auch, dass die Frage der Organisation weit über den wirtschaftlichen Kontext und tief in die Gesellschaft hineinreicht. Der gedankliche Kern der Idee, die zu Vollmers neuem Buch führt, an dem er bereits arbeitet, ist: "Immer mehr Menschen wollen nicht mehr regiert werden. Nicht im Unternehmen und auch sonst nirgends." Wir dürfen gespannt sein!
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Edgar H. Schein:
Humble Consulting - die Kunst des vorurteilslosen Beratens.
aus dem Amerikanischen übersetzt von Maren Klostermann.
Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2017, 187 Seiten, 39 Euro, ISBN 978-3-8497-0165-9
Was heißt Beraten in einer immer komplexer werdenden Welt? Edgar H. Schein sagt: Es braucht eine neue Art von Beziehung zwischen Berater und Klient: offen, vertrauensvoll, gespeist vom Wunsch, wirkliche Hilfe zu leisten, getragen von Demut und wirklicher Neugier. Basierend darauf entwickelt der Organisationspsychologe ein neues Modell des Helfens, Coachens und Beratens: Humble Consulting legt Wert auf das Engagement, die Neugier und das echte Interesse des Helfenden. Es beruht auf einer Haltung der Demut gegenüber dem Klienten, aber auch Demut angesichts der Komplexität und Undurchschaubarkeit der Situationen, mit denen dieser konfrontiert ist. Ganz wichtig deshalb: "Humble Consulting sagt Ihnen, was Sie bedenken müssen, und welche Haltung Sie einnehmen sollten, wenn Sie nicht wissen, was zu tun ist." Denn der Berater weiß oftmals auch nicht mehr. Und auch nicht weiter.
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Andri Hinnen, Gieri Hinnen:
Reframe it!.
42 Werkzeuge und ein Modell, mit denen Sie Komplexität meistern.
Murmann Publishers, Hamburg 2017, 265 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-867745734
Das Verzwickte an der Komplexität ist, dass sie auch noch mit einer Paradoxie aufwartet. Natürlich lässt sich Komplexität meistern - soziale Systeme können das, Prinzipien und Regeln helfen dabei, ebenso Visualisierungen und Denkmethoden. Doch wer Komplexität reduzieren will, wird kläglich scheitern. Komplexität lässt sich nicht reduzieren. Sie lässt sich nur meistern. Und wer sie meistern will, muss durch Komplexität hindurch. Muss sie annehmen, muss mit ihr umzugehen lernen. Darum bemühen sich Ratgeber wie Niels Pflägings Komplexithoden. Doch was tun mit der Komplexität, wenn nicht reduzieren? Das fragen nun die Brüder Andri und Gieri Hinnen. Ihre Antwort ist eine Toolbox mit 42 Werkzeugen und einem Modell: Reframing. Reframing bedeutet: "Komplexe und komplizierte Inhalte werden nicht vereinfacht, sondern sorgfältig umgestaltet und neu gerahmt." Reframing bedeutet, "den Kontext zu ändern": die Perspektive, den Winkel, das Medium, die Struktur oder die Story, die erzählt werden soll. Die 42 Instrumente im Buch entstammen komplett unterschiedlichen Kontexten und zeichnen sich durch ihre komplett unterschiedliche Herangehensweise aus. Das ist gut. Und notwendig. Denn, wie die Autoren richtig schreiben, "braucht es Komplexität, um es mit Komplexität aufzunehmen".
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Thomas L. Friedman:
Thank you for being late.
Ein optimistisches Handbuch für das Zeitalter der Beschleunigung.
Lübbe Verlag, Köln 2017, 480 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-7857-2603-7
"Danke, dass Sie zu spät kommen." Das war Thomas Friedman einmal so rausgerutscht, als Gesprächspartner sich verspätet hatten. Ihm war klar geworden, wie sehr er diese seltenen Augenblicke freier, unverplanter Zeit schätzte. Friedman hat diesen Dank zum Leitmotiv seines neuen Buches gemacht. Er möchte die Pausentaste drücken, um intensiver über diesen historischen Moment nachzudenken, "der meiner Ansicht nach ein radikaler Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit ist". Es ist ein sehr persönliches, nachdenkliches Buch geworden, das aus unterschiedlichen Perspektiven und mit zahlreichen Beispielen den Zustand der Welt im Zeitalter der Beschleunigung zu beleuchten sucht. Es ist eine breite Palette von Themen, die Friedman hier auftischt, von Technologie über Energie, Klima, Populismus bis hin zu der Frage, was funktionierende lokale Gemeinschaften ausmacht. Ein Thema aber zieht sich durch das Buch hindurch, lässt den Autor nicht los: Es ist die Beschleunigung der technologischen Entwicklung. Hier liegt auch der Grund, dieses Buch zu empfehlen: In den Kapiteln 2 bis 5 entwirft Friedman, basierend zumeist auf eigenen Recherchen, ein ungemein dichtes und anschauliches Bild der rasanten technologischen Entwicklung. Und überall - sowohl was Mikroprozessoren, Sensoren, Speicher, Software, Netzwerke wie auch Mobilfunknetz und Cloud Computing anbelangt - sind es exponentielle Wachstumskurven. Die verschiedenen Entwicklungen auf dem Gebiet der Hard- und Software verschmolzen zu etwas, was Friedman "die Supernova" nennt. Auf einmal (datiert auf das Jahr 2007) "explodierten Tempo und Umfang, in dem Informationen digitalisiert, gespeichert, ausgewertet, in Wissen verwandelt und ... verteilt werden konnten". Obwohl Friedman ein grundsätzlich optimistisches Bild zeichnet, gibt er zu bedenken, dass die Menschen wie die gesellschaftlichen Strukturen nicht mehr in der Lage sein könnten, mit den raschen Veränderungen Schritt zu halten. Die Menschheit könnte es schaffen, sagt er, aber sicher sei das nicht. Sein Buch zeigt, dass er auch keine Antwort hat.
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Andreas Kulick, Christoph Quarch, Jan Teunen:
Officina Humana.
Das Büro als Lebensraum für Potenzialentfaltung, hrsg. vom Arbeiter Samariter Bund (ASB) Hessen.
avedition, Stuttgart 2017, 550 Seiten, 79 Euro (D), ISBN 978-3-89986-272-0
"Derzeit geht es der Mehrzahl der in Büros arbeitenden Menschen nicht gut. Ihr Körper findet dort zu oft keine Geborgenheit, ihr Herz keine Wärme, ihr Geist keine Ruhe und ihre Seele keine Nahrung." Das ist eine Kernaussage eines Buches, das sich dem Ort widmet, an dem mittlerweile ein großer Teil der Menschen ihre Arbeit verrichten: dem Büro. 18 Millionen sind es in Deutschland, 40 Prozent der Erwerbstätigen. Officina Humana ist der programmatische Titel des Buches, das als Buch nur unzureichend beschrieben ist, denn es ist eine bibliophile Kostbarkeit, aufwendig gestaltet und sorgsam editiert. Es beginnt mit der Welt, behandelt den Menschen, das Haus, die Arbeit und die Orte, an denen diese verrichtet wird. Man erfährt, wie das Büro entstanden ist, und bekommt Einblick in die Dimensionen des Büros der Zukunft. Leitmotiv ist dabei: "Der Mensch hat sich viele verschiedene Orte für Kreativität geschaffen. Von ihnen lässt sich manches darüber lernen, wie zukunftsfähige Büros gestaltet werden sollten." Und es gibt ein weiteres, es stammt von Buckminster Fuller: "Gestalte die Umgebung um, versuche nicht, den Menschen umzugestalten." Wie wahr.
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